Berliner Ratschlag
Open Space gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn – 18 stadtpolitische Initiativen laden an diesem Wochenende zum großen Planungs- und Vernetzungstreffen
Vernetzen, austauschen, neue Ideen und eine gemeinsame Perspektive entwickeln.
■ 4. bis 6. April
Der Berliner Ratschlag findet in Räumen der TU Berlin am Ernst-Reuter-Platz statt. Die Räume befinden sich im Mathegebäude und im Architekturgebäude.
Kinderbetreuung: Kinder können während der Open-Space-Phase Transparente malen.
Das Programm im Netz:
In der Kaffeepause kommen einem immer die besten Ideen. Oder beim Rauchen mit den Kollegen. Was also, wenn man die Pause institutionalisiert? Genau das versucht der Berliner Ratschlag am Wochenende. Der Berliner Energietisch, Kotti & Co und 16 weitere stadtpolitische Initiativen veranstalten den in dieser Form erstmaligen Ratschlag in der Technischen Universität. Drei Tage lang geht es um die Frage: „Wem gehört die Stadt?“
„Stadtpolitik, die über die Thematik hohe Mieten hinausgeht“, sagt Matthias Clausen von der Initiative Kotti & Co, „ist das Thema des Ratschlags.“ Es gehe um ein Berlin von unten, gemacht von den Bürgern der Stadt. Das könne die Netzübernahme von Vattenfall sein, die Initiative gegen den Autobahnausbau A100, aktuelle Themen wie die Zwangsräumung in der Reichenberger Straße in Kreuzberg oder ganz andere Themen. „Wir reden über das, was die Teilnehmer interessiert“, sagt Clausen, und das ist nicht vorhersehbar. Entstanden sei die Idee zum Ratschlag während der „Wem gehört Berlin?“-Aktion im vergangenen September. Der Berliner Ratschlag – ein Treffen auf dem die Teilnehmer vor allem inhaltlich diskutieren, sich vernetzen und Aktionen planen.
Konferenz oder Tagung wollen die Organisatoren die Veranstaltung nicht nennen. „Das klingt so exklusiv,“ sagt Clausen, „der Ratschlag soll offen für jeden und möglichst heterogen sein.“ Die Initiatoren wollen diskutieren – und das nach dem Kaffeepausenverfahren. Denn der Ratschlag funktioniert nach dem Open-Space-Prinzip, ohne große Hierarchien. Dabei gibt es keine Tagesordnung, keine vorbestimmten Redner, keine festgelegten Aufgaben. Lesungen, Konzerte und Filmvorführungen bilden den Rahmen für die Workshops.
Zum Auftakt am Freitagabend stellen sich zunächst die Initiatoren vor, danach präsentiert sich die Recht-auf-Stadt-Plattform Hamburg, welche 57 Initiativen umfasst. „Das Hamburger Modell ist ein mögliches Vorbild für ein stadtpolitisches Netzwerk in Berlin“, sagt Clausen. Zum Ausklang des ersten Tages liest Klaus Bittermann aus seinem Buch „Alles schick in Kreuzberg“ – Gentrifizierungsunterhaltung.
Der Samstag startet mit einer Bilanz der letzten zwei Protestjahre. Am Nachmittag beginnt dann die Open-Space-Phase, der Kern des Ratschlags. Hier die Spielregeln: Mehrere Themen gleichzeitig werden diskutiert, dazu finden sich die Gruppen selbst zusammen. Jeder kann sein Thema setzen und Gleichgesinnte suchen. Oder man lässt sich auf die Vorschläge der anderen ein. Dabei kann jeder zu jeder Zeit die Gruppe verlassen und zu einem anderen Themengebiet wechseln. Dieses Prinzip trägt den bildhaften Namen „Gesetz der zwei Füße“.
Das Konzept Open Space setzt auf „Schwarmintelligenz“ – mehr Menschen wissen mehr. Jeder darf und soll seine Ideen zu den Themen, für die er sich interessiert, beitragen. Dazu gibt es Snacks und Vokü, für den Pausencharakter. Was zunächst chaotisch klingt, funktioniere gut gerade für große Gruppen, sagt Clausen. Protokolle und feste Zeiten strukturieren die Workshopphase.
„In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen unsere Themen auf die Tagesordnung zu setzten“, sagt Clausen. Der Ratschlag soll gerade für lokale Kämpfe einen Gewinn bringen, die bisher vielleicht alleine ausgetragen wurden – von der Familie, die kurz vor dem Rausschmiss steht, oder der Stadtteilinitiative. Es geht darum, eine gemeinsame Sprache zu finden und ihr Ausdruck zu verleihen, so dass das vielfältige Stimmengewirr zu einem lauten Chor anschwillt. Nach dem Motto: Zusammen ist man lauter beziehungsweise stärker.
Nach dem gemeinsamen Talk gibt es am Samstagabend gemeinsamen Tanz mit der Gruppe Govenda Kurdi International. Daneben gibt es Konzerte der kurdisch-türkischen Akustikgruppe Koma Nupelda, politischen Blas-Punk-Pop der anarchistischen Musikwirtschaft und der Singer-Songwriterin Nuria Edwards. Ein Kino über stadtpolitische Kämpfe und eine Ausstellung zu den Protest im Gezipark laufen während des gesamten Ratschlags parallel.
Am Sonntag geht es um konkrete Absprachen. Aus den Ideen des Vortags sollen sich konkrete Aktionen entwickeln. Ein Konzert der Band Dota Kleingeldprinzessin und die Lesung des „Schwarzbuchs Kreuzberg“ beenden das Wochenendprogramm. SVENJA BEDNARCZYK