Passagier zwischen den Welten

RETROSPEKTIVE Die Karriere des Regisseurs Robert Siodmak verlief entlang der Etappen Berlin, Paris, Hollywood und wieder Berlin. Sein großes Thema war das Dunkle, Monströse im Leben

Am Tag nach Hitlers Machtergreifung geht Robert Siodmak nach Frankreich

Autos, Kutschen, Straßenbahnen vor dem Bahnhof Zoo. Inmitten des Großstadtgewirrs „umgarnt“ ein Mann ein Mädchen, umkreist es in choreografischen Bewegungen, bis beide, Seite an Seite, aus dem Bild gehen.

Auf der Suche nach einem pathologischen Killer setzt die Polizei eine Frau als Lockvogel ein. Die gerät dabei an einen Nachtclubbesitzer, einen Modezaren und einen Mädchenhändler.

Nacht in der Großstadt, ein verödeter Bahnsteig, diffuses Licht von ein paar Lampen, bedrohliche Schatten. Ein Zug nähert sich. Ein Mann keucht die Treppe hoch, schleicht sich an eine junge Frau heran. Hinter ihnen kommt eine Passantin durch das Drehkreuz, der Mann schreckt zurück. Alles wird still, nichts ist geschehen.

Gerhart Hauptmanns aktualisierte Tragikomödie im Nachkriegsberlin: Das polnische Dienstmädchen, das aus Not ihr Kind verkauft, ist hier ein Ostflüchtling.

Vier Filme des Regisseurs Robert Siodmak: „Menschen am Sonntag“ (1929), „Pièges“ (1939), „Phantom Lady“ (1943), „Die Ratten“ (1955); vier Etappen seiner Karriere: Berlin, Paris, Hollywood und wieder Berlin. Exil, Emigration, Remigration machen ihn zu einem Passagier zwischen den Welten. Viermal muss er neu beginnen. Zuallererst erobern sich mit viel Enthusiasmus und ein paar tausend geliehenen Reichsmark die Amateure Robert und Kurt Siodmak, Edgar Ulmer, Fred Zinnemann und Billie Wilder die Welt des Kinos. Einziger Profi: der Kameramann Eugen Schüfftan. Ihr „erstes Meisterwerk des poetischen Realismus“ bringt Robert Siodmak ein Engagement bei der Ufa ein. Dafür bleiben ihm vier Jahre und sechs Filme.

Darunter das klaustrophobische Kammerspiel „Abschied“, der schwarze Gerichtsthriller „Voruntersuchung“ und das düstere Melodram „Brennendes Geheimnis“. Sie verweisen auf sein großes Thema: auf das Dunkle, das Monströse im Leben der Menschen, darauf, dass nicht alle Tage Sonntag ist.

Am Tag nach Hitlers Machtergreifung geht Robert Siodmak nach Frankreich; in Paris dreht er ohne offizielle Arbeitserlaubnis und passt sich verblüffend schnell an. „Le Sexe faible“ ist eine genuin französische Boulevardkomödie über den Kampf der Geschlechter. In „Pièges“ wechseln die Episoden vom Krimiplot zum Streifzug durch das Nachtleben, von der Hochzeitseinlage zum düsteren Thriller. Kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris flieht Siodmak nach Hollywood.

Hier findet er bei Universal mit expressionistischer Kameratechnik und amerikanischen Thrillerthemen zu „seinem“ Genre, zu Werken aus Licht und Schatten nach der von Rembrandt inspirierten Theorie, dass das Auge sich immer vom hellsten Fleck abwendet und den dunkelsten Punkt aussucht.

Mit „Phantom Lady“, einem Film ohne Gewaltszenen, aber voller Einstellungen, die geheime Ängste, beklemmende Albträume, dunkle Schrecken vermitteln, beginnt ein Jahrzehnt mit seinen Meisterwerken des Film noir: „The Suspect“, „The Spiral Staircase“, „The Dark Mirror“, „The Killer“, „Cry of the City“, „Criss Cross“; dazu der Spielerfilm „The Great Sinner“ und die beiden farbtrunkenen Abenteuerfilme „Cobra Women“ und „The Crimson Pirate“.

Etliche Stars dieser Ära spielen unter seiner Regie einige ihrer großen Rollen: Burt Lancaster und Ava Gardner, Olivia De Havilland, Yvonne de Carlo, Ella Raines, Gregory Peck, John Hall und Maria Montez.

Ins Nachkriegsdeutschland zurückgekehrt, zeigt Siodmak, wohin es gehen könnte mit dem bundesdeutschen Film: „Die Ratten“ gewinnt 1955 als erste deutsche Produktion den Goldenen Bären der Berlinale. „Nachts, wenn der Teufel kam“ ist die Studie eines Serienmörders und die beklemmende Abrechnung mit dem NS-Staat. Solche hoffnungsvollen Ansätze gehen alsbald in den Wellen banaler Lustspiel- und Heimatfilme unter. Siodmak lässt sich auf Artur Brauners Karl-May-Welle ein, mit „Der Schut“ und „Der Schatz der Azteken“. Ein Western in Spanien („Custer of the West“) und ein Monumentalfilm in Rumänien („Kampf um Rom“) mit Massenschlachten, Kitscheinlagen und Orson Welles, fehlen in dieser Retro, das schadet aber nichts, denn alles, was Siodmaks Werk wirklich ausmacht, ist hier (wieder) zu entdecken. HELMUT MERKER

■ Retrospektive Robert Siodmak: Zeughauskino, bis 29. 6.