Vielschichtige Camouflage

AUSSTELLUNG Mit „Home and Away and Outside“ besticht Tobias Rehberger in Frankfurt als vielseitiger Künstler. Sein Werk ist weder einem Medium noch einem Thema verpflichtet

VON GABRIELE HOFFMANN

Seit 20 Jahren lebt er in Frankfurt. Jetzt bekommt der im In- und Ausland bekannte Tobias Rehberger hier endlich seine erste große Überblicksausstellung. In der Schirn Kunsthalle sind auf der einen Seite die Künstler zu sehen, die um 1900 den „Esprit Montmartre“ entfachten, auf der anderen Seite Rehbergers Dekonstruktion des White Cube im schwarzweißen Dazzle-Design. Das im Ersten Weltkrieg als Tarnanstrich von der Royal Navy mit wenig Erfolg genutzte Camouflage-Muster hat Rehberg schon 2009 für die Ausstattung seines Cafés auf der Biennale in Venedig benutzt. Mit mehr Erfolg: Er bekam dafür den Goldenen Löwen.

Das Prinzip, über Wände und Boden schwarzweiß gestreifte oder gepunktete Muster kaleidoskopartig agieren zu lassen, garantiert optische Desorientierung, die sich für die BesucherInnen mit der permanenten Selbstbespiegelung in zerbrochenen Spiegeln noch steigert. Wie aus der Wand gesprungen, stehen zum Teil farbige Skulpturen im Raum, die auf die gleiche Weise gestaltet wurden: „handicapped sculptures“, deren Missbildungen es zu entdecken gilt. Die Gefahr ist groß, etwas zu übersehen oder zu überhören. Bei „Large Cuckoo Clock“ öffnet sich in einem kreisrunden geometrisch gemusterten Tondo alle fünfzehn Minuten eine Klappe, aus der eine rote Kugel fährt, deren Kuckucksrufe der handelsüblichen Massenware entspricht. Und wie immer bei Rehberger-Ausstellungen gibt es Objekte zum Sitzen.

Diese von nicht berührbaren Kunstwerken zu unterscheiden, wird erst im Bereich „Galerie“ ein Thema. Anders als die Gesamtinstallation im ersten Teil liegen hier Raumkompartimente hintereinander, seitlich davon führen Stufen und Rampe bergauf – der gesamte Boden in strahlendem Weiß. Die ausgestellten Möbel und andere alltägliche Gegenstände sind durch Podeste und Sockel gekennzeichnet. Andere Flächen laden zum Sitzen ein. Die Architektur pocht auf Zusammengehörigkeit. Dem Flaneur bleibt nicht verborgen, dass für Tobias Rehberger das Ausstellen seiner Arbeiten ebenso künstlerische Praxis ist wie die Herstellung einzelner Werke, ob Malerei, Skulptur oder Architektur. In Frankfurt trägt auch die besondere Helligkeit zu dieser Erkenntnis bei. Weil ausstellen heißt, nichts dem Zufall zu überlassen, entspricht die Lichtmenge dem Mittelwert des Sonnenlichts der vergangenen Woche. Präsentiert sind Werke, die zwischen 1994 und 2010 entstanden. Das Bekannte bekommt in einem neuen Kontext neue Bedeutung. Die installative Einheit ist in dieser Ausstellung besonders überzeugend. Präsentiert werden die von Rehberger 1994 aus dem Gedächtnis skizzierten und von einheimischen Schreinern in Kamerun für eine Ausstellung im Goethe-Institut in Yaounde gefertigten Stühle – Designklassiker von Breuer, Aalto und anderen. Unverändert und doch ganz anders.

Die Wünsche von Freunden

Dass auch „Christian“, die kreisrunden Sitze aus Sperrholz, Pappe und buntem Kordelbezug, wieder zu sehen ist, hängt damit zusammen, dass Rehberger ihre Entstehung gerne noch einmal erzählt. Nach zwei Ausstellungen im Frankfurter Portikus hatte er 1996 die Besucher gebeten, Vorschläge für eine Verbesserung des Ausstellungsbetriebs zu machen. Neben Fahrradständern und Rampe für Rollstuhlfahrer waren fehlende Sitzgelegenheiten ein Thema, dem der Künstler sich stellte. Mit dem Anhören der Wünsche und Ideen von Freunden beginnt für Rehberger ein Prozess konzeptueller und praktischer Arbeit.

Als geschlossene Gesellschaft lässt Rehberger dann auch seine Künstlerfreunde in der Schirn auftreten. Er hatte sie 1995 als Vase mit Blumenstrauß porträtiert. Ohne zu wissen, warum, hatten Wolfgang Tillmans, Sharon Lockhart, Michel Majerus und die anderen ihm auf seine Bitte hin ihre Lieblingsblumen geschickt, was den Porträts ein Stück Selbstporträt hinzufügte. Das Ende der „Wohnlandschaft“ markiert dann eine Tapete, die im Rehberger-Stil die umgebaute Motorjacht zeigt, mit der die Familie des Künstler Danh Vo aus Vietnam geflohen war.

Der dritte Teil der Ausstellung befindet sich im Eingangsbau der Kunsthalle. Eine unter die Kuppel der Rotunde gesetzte Assemblage mit Punktstrahler wirft einen Schatten. Er besteht aus einzelnen Buchstaben, die das englische REGRET, deutsch: „bedauern“, ergeben. Was könnte Tobias Rehbergers Horror vor dem Abgeschlossenen, dem Fehlerhaften, dem Authentischen besser zum Ausdruck bringen als dieses „bedaure!“

■  Bis 11. Mai. Katalog (Snoeck Verlag) 27 Euro