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Archiv-Artikel

Filmabend ohne Zelluloid

Cora Frost inszeniert Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“ am Theater Aachen. Die Regisseurin und ihre Schauspieler hielten sich dabei konsequent an das 30 Jahre alte Drehbuch

VON HEIKO OSTENDORF

Der Aachener Tivoli ist jüngst ein Symbol geworden. Nicht mehr Stadion eines kleinen Fußballerstligisten, sondern Inbegriff für den in dieser Sportart samstäglich ans Licht kommenden Rassismus. Eine Geldstrafe für die „Asylant“-Beschimpfungen eines gegnerischen Spielers erhitzte zwar die Gemüter und der Verein „Alemannia“ fühlte sich ungerecht behandelt. Eine knappe Woche nach dem Skandalspiel gegen den Lokalrivalen aus Mönchengladbach tönen in Aachen erneut Schmährufe und wüste Beschimpfungen wider einen arabischen Mitbürger. „Ungewaschene, dreckige Schweine“, sollen die Dunkelhäutigen sein.

Doch wir sitzen nicht auf den Plastikschalen der Bundesligazuschauerränge. sondern lümmeln uns in den gepolsterten Sesseln des Stadttheaters. Hier sind solche Kränkungen in Ordnung. In der „Kammer“ im dritten Stock wohnt der Besucher der Ausländerdiskriminierung ganz entspannt bei. Lächelt über die Vorurteile, die der kultivierte Theatergänger natürlich nicht hat und hört einer Geschichte zu, die vor einer halben Ewigkeit vom großen Filmemacher Rainer Werner Fassbinder auf der Leinwand bereits erzählt wurde. „Angst essen Seele auf“, war vor über dreißig Jahren dessen erfolgreicher Flirt mit Hollywood. Fassbinder wollte Emotionen und die Zuschauer mitnehmen in eine Welt, die etwas von biblischer Verheißung hat, die paradiesische Zustände proklamiert. Sozialromantisches Drama trifft jedoch eher: Eine ältere Frau lernt einen jungen, attraktiven Marokkaner kennen. Sie verlieben sich und prallen auf eine mit ihren Ängsten und Abneigungen nicht geizende Umwelt. Am Ende trotzen Emmi und Ali allen Unannehmlichkeiten. Nicht die Liebe zerbricht, sondern der Widerstand der Gesellschaft. Sie findet sich mit dem ungleichen Paar ab.

Warum die Geschichte heute auch auf Theaterbühnen ihren Platz findet, liegt auf der Hand, ohne die Katastrophe von Manhattan wieder heraufzubeschwören. Deutschland ist seit der Fassbinders Filmpremiere 1974 noch kein Land des friedlichen Zusammenlebens der Kulturen.

Regisseurin Cora Frost kopiert zunächst für lange 90 Minuten die Filmvorlage. Sogar die Personen in der Eingangsszene arrangiert sie wie Fassbinder, so als Emmi die Kneipe betritt, in der sie Ali kennen lernt. Sie sitzt am Tisch bestellt „ein Cola“ und wird von den anwesenden Ausländern und Barfrauen argwöhnisch beäugt. Mit gesenktem Blick und einer naiv-stoischen Ruhe erträgt Emmi die Situation, bis Ali sie zum Tanzen auffordert. Jetzt ist die Liebesgeschichte nicht mehr zu bremsen. Elisabeth Ebeling hat sich bei der Original-Emmi Brigitte Mira, viel Mimik, Sprache und Gesten abgeschaut, so als wolle sie die Schauspielerin von den Toten auferstehen lassen. Walid El Sheikh schafft sich dagegen eine eigene Körpersprache, wirkt robuster, selbstbewusster als sein Filmpendant El Hedi ben Salem.

Bei Fassbinder beobachtet die Kamera das Paar oft durch Türrahmen und zeigt so die Isolation. Auf der Bühne von Ausstatterin Daria Kornysheva sorgt dafür eine Lampe über dem Tisch. Sie separiert dort Emmi und Ali vom Rest der Welt. Die ist schwarz in schwarz. Selbst die braunen Stühle wirken träge und mürrisch. Den Film kopieren heißt auch, auf Anspielungen heutiger Verhältnisse zu verzichten, sich ganz auf das noch immer aktuell wirkende Fassbinder-Drehbuch zu verlassen. Frost verzichtet sogar auf zentrale Szenen, die heute noch stärker wirken dürften als 1974, wenn zum Beispiel die Nachbarinnen Emmis alle Araber für Bombenleger halten. Erst kurz vor Ende verlässt die Regisseurin ihren xeroxgestützten Weg und schlägt der kitschigen Auflösung des Films ein Schnippchen. Sie lässt die Schauspieler Albano und Romina Powers „Felicita“ summen und ironisiert die gefühlsselig werdende Handlung. Eine notwendige Wendung für eine Aufführung, die sich mehr mit dem Film beschäftigt, als mit seinem Thema und damit viele Chancen vergibt.

Sa, 07.10.2006, 20:00 UhrInfos: 0241-4784244