: Datenabgleich schlägt Wellen
Hamburgs Schulen sollen illegal im Land lebende Kinder melden, so will es der Senat. Weil mehrere Schulleiter sich weigern, rufen CDU-Politiker schon nach dem Staatsanwalt. In Schleswig-Holstein sieht man in dieser Sache keinen Handlungsbedarf
VON KAIJA KUTTER
Auslöser war ein Boykottaufruf: Vor einer Woche forderten darin 16 Prominente aus dem linksliberalen Spektrum die Leiter aller Hamburger Schulen dazu auf, die Daten von Kindern ohne legalen Aufenthaltsstatus nicht in das soeben eingerichtete neue Zentrale Schülerregister einzuspeisen. Gleichzeitig bekannten zwei Rektoren, sie hätten illegale Kinder an ihren Schulen aufgenommen, ohne sie an die Bildungsbehörde zu melden.
Seither wird in Hamburg zunehmend aufgeregt debattiert. In den marktbeherrschenden Springer-Medien dominiert die Aufregung über das vermeintlich illegale Tun verbeamteter Rektoren. Und der CDU-Politiker Karl-Heinz Ehlers forderte zu Wochenbeginn die Staatsanwaltschaft auf, zu prüfen, ob es sich dabei nicht um „Straftaten“ handele – auch bei dem erwähnten Appell um die Aufforderung dazu. Bei den Flüchtlingsorganisationen ist man dagegen fassungslos über das Vorgehen des Senats. Denn angekündigt worden war das Register nach dem grausamen Hungertod der kleinen Jessica vor anderthalb Jahren – als Schutzmaßnahme für vernachlässigte Kinder. Angestrebt werde lediglich ein Datenabgleich mit Sozial, Jugend und Gesundheitsämtern, so hatte es Hamburgs Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) im März 2005 erklärt. Erst vor kurzem wurde bekannt, dass auch die Innenbehörde Zugriff auf die Daten hat.
Genehmigt hat das Hamburgs Datenschutzbeauftragter, Hartmut Lubomierski. Anne Harms von der kirchlichen Beratungsstelle „Fluchtpunkt“ spricht von einer „Dummheit“. Die Schule habe die Möglichkeit, an Familien heranzukommen, die sich sonst nicht meldeten. Bei „Fluchtpunkt“ hätten inzwischen sechs Schulen angerufen und von insgesamt elf illegalen Kindern berichtet, die bei ihnen angemeldet seien. Dies sei keine „Straftat“, sagt Harms, weil die Meldepflicht von der Kenntnis illegaler keine „strafbewährte Vorschrift“ sei. Auch seien die Schulen zunächst nur per Brief gebeten worden, sich auf das neue System umzustellen. Harms: „Das ist erst mal gar nichts.“ Strafbar ist laut Gesetz die „Beihilfe“ zum illegalen Aufenthalt, wenn diese ursächlich dazu führt. Menschen, die Illegalen humanitäre Hilfen geboten hätten, seien noch nie verurteilt worden, sagt Harms.
Es bleibt der Streit darum, ob es richtig ist, was die Schulleiter tun: Hamburgs Grüne haben in der Bürgerschaft beantragt, der Senat möge dafür sorgen, dass der Innenbehörde ein „automatisierter Zugriff“ auf die Schülerdatei „nicht gewährt wird“. Das fordert auch der SPD-Schulpolitiker Wilfried Bus. Durch seine Fraktion geht indes ein Riss: Weil sie den Appell unterschrieben, wurde den Abgeordneten Sabine Boeddinghaus und Luisa Fiedler von ihrem Genossen Andreas Dressel öffentlich der Aufruf zum „Rechtsbruch“ vorgehalten.
Leichter hat es da die CDU: Deren Schulpolitiker Robert Heinemann und seine Senatorin Dinges-Dierig erklären, eine Beendigung der Illegalität sei auch für die Kinder das Beste. „Wenn die Innenbehörde und wir im Zuge der Register-Einführung Klärung herbeiführen“, so Dinges-Dierig, „wird das Angst nehmen.“ Angesichts der harten Linie von Innensenator Udo Nagel (parteilos) kann solche Klärung freilich auch die Abschiebung etwa nach Afghanistan bedeuten.
Im Hamburger Bezirk Altona, der von einer schwarz-grünen Koalition regiert wird, hatte die CDU-Fraktion dagegen bereits im Mai gemeinsam mit dem grünen Partner einen Appell an die Innenbehörde verabschiedet, auf die Meldepflicht zu verzichten. Verhindere diese doch „weder eine illegale Einreise noch den illegalen Aufenthalt“ und führe nur dazu, dass Kinder unter dem Fehlverhalten ihrer Eltern litten: „Kinder, die keine Schule besuchen können, bleiben Analphabeten“, hieß es wörtlich. „Sie können sich nicht psychisch gesund und sozialisiert entfalten.“
Die Grüne Dorothee Freudenberg mahnt nun an, dass die Altonaer CDU sich parteiintern für eine humane Lösung einsetzen solle. Das Register bedrohe „ein paar tausend Kinder“, so Freudenberg. Die Schulleiter bräuchten jetzt ein „Zeichen von der Bildungsbehörde“, sagt Flüchtlingsberaterin Anne Harms. Von der Behörde gibt es zurzeit jedoch „keinen Kommentar“.
Auch im Nachbarland Schleswig-Holstein werden Kinder unterrichtet, deren Eltern sich illegal im Land aufhalten, allerdings fährt Kiel eine weichere Linie. „Wir gehen davon aus, dass die Schulpflicht für alle gilt“, sagt Thorsten Döhring, Referent für Flüchtlings und Zuwandererfragen der Landesregierung. Nach seiner Auffassung bestehe für Lehrer „keine Meldepflicht“, sollten sie davon erfahren. „Es gibt gute Gründe zu sagen“, so Döring, „dass auch Schulleiter nicht dieser Pflicht unterliegen.“