: Lediglich die Zickzackschwimmer stören
Texas-Willy hat unzähligen Berlinern eine schöne Jugend beschert: Mit „Prinzenbad – 50 Jahre Eintauchen in Kreuzberg“ rettet Matthias Oloew die Geschichte des beliebtesten Sommerbades der Stadt vor dem Vergessen
„Im Leben findest sich immer ein Plätzchen für eine Heldentat“, hat einmal der Dichter Maxim Gorki gesagt. Als Russe meinte er damit vermutlich jene oft winzigen Eislöcher, in denen seine abgehärteten Landsleute im Winter so gerne baden gehen.
Im Kreuzberger Prinzenbad ist das Wasser mit Solarenergie geheizt. Dafür bietet es als größtes Sommerbad Berlins mit einer Wasserfläche von 3.511 Quadratmetern wesentlich mehr Platz zur heroischen Nutzung.
Heldenhaft überwinden dort BesucherInnen jeden Morgen während der Saison ihren Ekel, wenn sie das Wasser mit einer bestimmten älteren Dame teilen müssen. Die salbt nämlich ihren Körper gerne vor dem Eintauchen mit dem Fett eines zuvor verspeisten Brathähnchens ein. Übergewichtige, über 40-jährige Frauen reizen dort regelmäßig muskelbepackte Männer zur Weißglut. Einfach indem sie schneller schwimmen als diese. Wenn sie den neidischen Herren dann auch noch absichtlich in die Quere kommen, riskieren sie es heldenhaft, mit ihnen zusammenzurauschen.
Diese Beobachtungen und überhaupt ein reiches Wissen über das Prinzenbad verdanken wir dem Tagesspiegel-Redakteur Matthias Oloew. Anlässlich des 50. Geburtstags besagter Anstalt veröffentlichte er dieses Jahr sein Buch „Prinzenbad – 50 Jahre Eintauchen in Kreuzberg“.
Dass dies Berlins beliebtestes Sommerbad ist, davon zeugen schon die sich jährlich wiederholenden Beschwerdebriefe an die Adresse der Berliner Bäderbetriebe, welche in dieser Fülle nur aus Kreuzberg eintreffen, sobald zum Saisonende wieder einmal die Bäderschließung ansteht.
Überraschenderweise hatte Oloew es aber sehr schwer, die Geschichte des Bades zu rekonstruieren. Gerade unter den gestandenen Altschwimmern dort weigerten sich viele, überhaupt zu reden. Und im Bezirksamt Kreuzberg hielt man es in den vorwärtsgewandten 50er- und 60er-Jahren nicht für nötig, Besucher- oder andere Statistiken aufzubewahren. Oloew hat also die Geschichte des Prinzenbades mit heldenhafter Beharrlichkeit für uns im letztmöglichen Moment gerettet.
Dieses Sommerbad hat unzähligen KreuzbergerInnen eine schöne Jugend beschert. Nie wieder werden wir nun vergessen, dass wir es einem bauwütigen SPD-Bezirksbürgermeister namens Kressmann (im Volksmund „Texas-Willy“ genannt) verdanken. Und auch nicht, dass sich dieser Born der Lebensfreude ursprünglich auf Berlins größtem verseuchten Gelände befand: Das Grundstück hatte im 19. Jahrhundert einer Gasanstalt gehört, deren Betreiber auch Anilinfarben aus Steinkohleteer gewannen. Als das ganze Ausmaß des Schadens offenbar wurde, mussten ab 1976 neun Jahre lang der Boden saniert und alle Anlagen erneuert werden. Deshalb schlug das Prinzenbad schließlich noch einen weiteren Rekord – und wurde zum teuersten Sommerbad der Stadt.
Der Autor, selbst seit 16 Jahren dort Frühschwimmer, bettet diese umfassende Historie voller Querulanten, Prügeleien und Gerichtsprozesse in die Schilderung eines typischen Prinzenbad-Sommertages ein. Dazu serviert Oloew uns jede Menge Interviews – mit den resoluten Damen von der Cafeteria, türkischen Stammgästen, Bademeistern und berühmten „Anbadern“ wie Richard von Weizsäcker.
Matthias Oloew hat das Prinzenbad als getreuen Spiegel des Kreuzberger Soziotops geschildert. Im Gespräch unter vier Augen gibt er zu bedenken, was nicht mehr im Buche steht: „Das Bad droht abzugleiten“, sagt er. „Bald könnte es nicht mehr das Volksbad sein, das es früher einmal war. An dem einen Ende der sozialen Leiter wandern Kunden ab, zu Einrichtungen wie dem ‚Badeschiff‘ und in Wellness-Clubs, am andern Ende können sich viele den Eintritt überhaupt nicht mehr leisten.“
Noch, meint er, sei Zeit, das Bad preiswerter und attraktiver zu machen. Er selbst jedenfalls würde das Prinzenbad gegen nichts auf der Welt eintauschen. Gefragt, ob ihn dort etwas störe, antwortet er nur: „Die Zickzackschwimmer“. BARBARA KERNECK
Matthias Oloew: „Prinzenbad – 50 Jahre Eintauchen in Kreuzberg“. Verlag an der Spree