Dozenten überschätzen sich leicht

HOCHSCHULE Jeder zweite Studierende bricht sein Technik-Studium ab. Deshalb suchen Hochschul-Didaktiker Wege für eine bessere Lehre. In Kiel bewerten Dozenten sich jetzt selbst, meist zu gut

VON JOACHIM GÖRES

Von der Einführung der Bachelor-Studiengänge versprachen sich die Befürworter weniger Studienabbrecher – ein frommer Wunsch: Nach der letzten Untersuchung aus dem Jahre 2012 des Instituts für Hochschulforschung in Hannover (HIS) verlassen immer noch mehr als 50 Prozent der Studierenden in Bauingenieurwesen, Mathematik, Elektrotechnik und Maschinenbau ohne Abschluss die Uni. Gerade in diesen Fächern fehlen Absolventen – ein Grund für viele Hochschulen, sich Gedanken um die verständlichere Vermittlung der Lehrinhalte zu machen.

So werden Studierende regelmäßig aufgefordert, ihre Veranstaltungen zu bewerten und Verbesserungen vorzuschlagen. Wer zum Beispiel an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel Informatik studiert, der soll nach jedem Semester Fragen wie „Ich habe in der Lehrveranstaltung viel gelernt“, „Der Bezug zur Praxis ist für mich erkennbar“ oder „Der Dozent wirkt fachlich kompetent“ beantworten.

An der Fachhochschule (FH) Kiel geht man jetzt einen Schritt weiter. Dort wurden im letzten Wintersemester erstmals nicht nur die Studierenden, sondern auch 26 Dozenten befragt. Sie sollten ihre Lehrtätigkeit selber einschätzen. „So kann man sehen, ob die Selbst- und die Fremdwahrnehmung übereinstimmt oder auseinandergeht“, sagt Mareike Kobarg, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Hochschuldidaktik an der FH Kiel. Dort studiert man unter anderem Maschinenbau, Mechatronik und Elektrotechnik.

Danach schätzen sich 62 Prozent der Lehrenden besser ein als von ihren Studenten bewertet. Besonders auseinander gehen die Meinungen, wenn es um notwendige Informationen über Prüfungsanforderungen, den Einsatz von Lehrmethoden und die ausreichende Vorbereitung auf Prüfungen geht – Studierende sehen hier erheblich häufiger Mängel als die Dozenten.

Umgekehrt klagen die Wissenschaftler über desinteressierte Zuhörer, während Studierende sich wesentlich interessierter einschätzen. Bei einer Benotung der Gesamtleistung geben sich die Dozenten im Schnitt eine 1,8, während sie von den Studierenden die Note 2,5 bekommen.

„Wir konnten über diese Methode gut mit den Lehrenden ins Gespräch kommen, die sich sehr interessiert zeigten“, sagt Kobarg. Eine typische Reaktion sei Verwunderung darüber gewesen, dass bestimmte Informationen nicht wie gedacht bei den Studierenden ankommen. Künftig wollen Dozenten stärker deutlich machen, welchen Aufwand sie bei der Vor- und Nachbereitung erwarten. Es gebe aber auch Äußerungen wie „Ich sehe nicht ein, alle Prüfungsanforderungen noch einmal im dritten Semester zu erklären“ oder „Ich brauche bei diesen Fragen keine Unterstützung von außen, die Gespräche mit den Kollegen darüber sind ausreichend“. Kobarg: „Wir werden beobachten, ob Lehrende künftig Studierenden gegenüber anders auftreten als bisher.“

„Wer vor zehn Jahren als Dozent in den Ingenieurwissenschaften in einen Didaktik-Workshop ging, der hat es oft heimlich gemacht, weil das von der Institutsleitung als Schwäche ausgelegt wurde. Heute fördern die Hochschulen gezielt die Verbesserung der Lehre, nicht zuletzt, weil sie untereinander um jeden Studenten kämpfen“, sagt Sabine Marx, Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums Hochschuldidaktik für Niedersachsen an der Technischen Uni (TU) Braunschweig. Zugleich räumt sie ein: „Bei Ausschreibungen von Stellen an der Uni wird Lehrerfahrung verlangt, aber Didaktikkenntnisse müssen meist nicht nachgewiesen werden.“

An der TU Braunschweig wie an vielen anderen Hochschulen wird verstärkt auf Studierende bei der Vermittlung gesetzt. Sie sollen als speziell geschulte Tutoren ihren Altersgenossen den Lehrstoff näherbringen und dabei gleichzeitig ihre eigenen Fachkenntnisse vertiefen.

Doch nach wie vor findet sich die Einstellung bei Professoren, dass mangelnde Ergebnisse der Studierenden auf deren fehlenden Fleiß und Reife zurückzuführen und exzellente wissenschaftliche Leistungen eines Dozenten die beste Garantie für gute Lehre sei. Nicht selten wird in überfüllten Hörsälen im ersten Semester darauf hingewiesen, dass sich die Bedingungen bald verbessern werden, da die Hälfte durch die Prüfungen fällt.

Didaktisch inspirierte Bemühungen, den Studierenden zumindest in den Anfangssemestern Orientierungshilfe zu geben, würden „bestenfalls wohlwollend toleriert“, berichtet auch die Kölner Rechtswissenschaftlerin Barbara Dauner-Lieb über die verbreitete Praxis im Jurastudium. Schlimmstenfalls werde dies aber als „unakademischer Kindergarten ironisiert“.