Gesundheitsreform: Solidarität bröckelt
: KOMMENTAR VON ANNA LEHMANN

Die Konflikte sind vertagt, die Koalitionspartner versöhnt, die Probleme aber bleiben. Die Gesundheitsreform tritt zwar 2007 offiziell in Kraft, doch die finanzielle Schwäche der gesetzlichen Krankenversicherungen wird weiter zunehmen. SPD und Union konnten sich nicht einigen, wie ihre Einnahmebasis zu stabilisieren ist.

Diese schwindet, weil immer weniger regulär Beschäftigte die Krankheitskosten einer älter werdenden Gesellschaft tragen müssen. Die SPD wollte deshalb ursprünglich den Kreis der Beitragzahlenden erweitern. Die Union empfahl dagegen, Gesundheit und Löhne zu entkoppeln. Die beiden Konzepte weisen in entgegengesetzte Richtungen: weniger Solidarität bei der Union, mehr bei der SPD. Alles dazwischen erscheint wie ein Patt. Doch das stimmt nicht. Das jetzt beschlossene System bedeutet: Es wird noch unsolidarischer, als es bisher schon war.

Ab 2009 sollen Kassen von ihren Versicherten Zusatzbeiträge erheben dürfen. Die belasten Geringverdiener in zweifacher Hinsicht. Zum einen sind diese mehrheitlich Mitglieder von Kassen, die am ehesten auf Extra-Einnahmen angewiesen sein werden: Zwei Drittel der Erwerbslosen sind bei einer AOK versichert, die nie so wirtschaftlich sein wird wie eine Techniker Krankenkasse. Denn deren Versicherte sind jünger, gesünder und solventer.

Zum anderen hat sich die Union damit durchgesetzt, dass bis zu 8 Euro Zusatzprämie von jedem erhoben werden dürfen – egal wie viel jemand verdient. Dieses Zugeständnis benachteiligt systematisch jene, die weniger als 800 Euro verdienen. Sie müssen mehr als 1 Prozent ihres Einkommens aufwenden – anders als diejenigen, die einen höheren Verdienst haben.

Diese Zusatzbeiträge ermöglichen es den Arbeitgebern außerdem, sich weiter aus der paritätischen Finanzierung des Gesundheitswesens zurückzuziehen. Steigende Ausgaben müssen nämlich zuerst durch solche Prämien aufgefangen werden. Auch die oberen zehn Prozent der Bevölkerung – die Privatversicherten – werden geschont. Sie in die Solidargemeinschaft einzubeziehen, wäre eine wirkliche Reform gewesen. Nun werden stattdessen die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala noch weiter belastet.