Streit um Zinn-Mine in Bolivien eskaliert

Hunderte Bergleute attackieren sich gegenseitig mit Dynamit. 16 Menschen sterben bei den Auseinandersetzungen, 80 sind verletzt, über 100 obdachlos. Präsident Evo Morales entlässt seinen Bergbauminister, steht aber selbst heftig in der Kritik

AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER

„Teufelsmetall“ nannte der bolivianische Schriftsteller Augusto Céspedes seinen klassischen Roman über die Ausbeutung in den Zinnminen im Andenhochland. Zwar sind die Zeiten des Zinnbarons Simón Patiño schon lange vorbei, nicht jedoch die Konflikte in den traditionellen Abbaugebieten der Provinz Oruro. Gestern glich die Kleinstadt Huanuni einem Schlachtfeld: Erbitterte Kämpfe zwischen konkurrierenden Bergarbeitern hatten 16 Tote und über 80 Verletzte gefordert, gut 100 Familien sind obdachlos. Präsident Evo Morales entließ gestern Bergbauminister Wálter Villarroel, einen Vertreter der Genossenschaften.

Grund der Ausschreitungen war eine am Mittwoch geplatzte Verhandlung zwischen den selbstorgansisierten Genossenschafts-Bergleuten, der staatlichen Minengesellschaft und der Regierung. Die Genossenschaftler fordern Zugang zu den ergiebigeren Stollen der Zinnmine. Die Vertreter der staatlichen Mine wollen das verhindern.

Sieben Monate lang war es der Regierung nicht gelungen, den Konflikt zwischen den Bergarbeitern zu entschärfen, wie Vizepräsident Álvaro García Linera einräumte. 16 Treffen hätten zu keinem Ergebnis geführt, sagte García Linera, „jede Seite wollte den ganzen Berg für sich“.

Bewaffnet mit Dynamitstangen umzingelten am Donnerstagmorgen hunderte selbst organisierte Zinnkumpel die staatliche Posokoni-Mine. Als die Angreifer einen Kompressor beschädigten, über den die tiefer gelegenen Stollen mit Luft versorgt wurden, stießen sie auf die Gegenwehr der Arbeiter des Staatsbetriebs Comibol. Soldaten und Polizisten setzten Tränengas ein, einige Bergleute Schusswaffen. „Kooperativisten“ füllten Reifen mit Dynamit und ließen sie die Hänge herunterrollen. In dutzenden Wohnhütten, die zugleich als als Verkaufsstände für Sprengstoff dienen, kam es zu einer Kettenexplosion: „Es war wie eine Atombombe“, sagte der Kumpel Salustiano Zurita.

Kritik an der Regierung hagelt es nun von allen Seiten: Die Kooperativisten kündigten ihr Bündnis mit Morales’ „Bewegung zum Sozialismus“ auf. Die staatlich organisierten Kumpel, seit je wichtiger Teil des linksoppositionellen Gewerkschaftsdachverbands Cob, strengen einen Prozess gegen die Regierung an. Die bürgerliche Opposition, mit der die Regierung in der verfassunggebenden Versammlung im heftigen Clinch liegt, reibt sich die Hände.

Erschwert wird eine Lösung durch unklare Eigentumsverhältnisse, die Minister gerne als „neoliberales Erbe“ bezeichnen: Nach der Privatisierung im Jahr 2000 hatte das britische Unternehmen Allied Deals seine Aktien der Firma RBG Resources übertragen, die jedoch die zugesagten Investitionen unterließ und Konkurs anmeldete. Im Juni 2006 übernahm der Staatsbetrieb Comibol die Regie der Posokoni-Mine und investierte in die Infrastruktur der reichhaltigen tiefer gelegenen Stollen. Die Genossenschaftler mussten sich mit den bereits weitgehend leer geräumten Schichten nahe der Oberfläche begnügen.

Zinn ist zu einem lukrativen Markt geworden. Mit der steigenden Nachfrage aus China, wohin auch das meiste Zinn aus Huanuni geliefert wird, haben sich die Weltmarktpreise seit 2002 nahezu verdoppelt. Derzeit liegt er bei 8.000 Dollar pro Tonne. In Huanuni werden monatlich zwischen 500 und 600 Tonnen gefördert, die Einwohnerzahl schnellte in den letzten fünf Jahren von 8.000 auf 30.000 hoch. Nun ist der neue Bergbauminister Guillermo Dalence gefordert: Er möchte einen Kompromissvorschlag schmieden, der Genossenschaftler und staatliche Arbeiter zufrieden stellt.