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Archiv-Artikel

Domestizierte Farbe

ABSTRAKTE KUNST Das Bucerius Kunst Forum zeichnet Mondrians Entwicklung vom Landschaftsmaler zum Begründer der Abstraktion nach. Die vermeintliche Logik erschließt sich allerdings nicht

Er begriff sein Liniennetz als Symbol des sich ausdehnenden Universums

Es gibt Geschichten, die gehen nicht auf. Die muss man sich mit Mühe zurechtbiegen, damit sie stringent erscheinen. Eine solche Geschichte erzählt zurzeit das Hamburger Bucerius Kunst Forum. Es möchte in seiner aktuellen Ausstellung nachweisen, dass Piet Mondrian, der wohlbekannte niederländische Rot-Blau-Gelb-Kästchenmaler, auf evolutionärem, also konsequentem Weg von der Landschaftsmalerei zur Abstraktion kam.

Folglich hat man großteils Frühwerke zusammen geholt, die ein munteres Panorama der Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts bilden: Vom Realismus über Neoimpressionismus und Symbolismen bis zu Konstruktivistischem reichen die Gemälde, als habe Mondrian lange und ziellos herumgesucht.

Hat er aber nicht, sagen die Ausstellungsmacher. Schon früh habe sich der Künstler zum Beispiel für die Theosophie interessiert. Die vermutet, dass die Natur auf unsichtbaren geometrischen Strukturen beruht und ein Zusammenspiel energetischer Kräfte ist. Umgesetzt hat Mondrian solche Ideen etwa im Gemälde „Andacht“, wo ein Mädchen mit auratisch-esoterischem Rot verschmilzt. Das Bild balanciert hart an der Grenze zum Kitsch, aber man erträgt es; immerhin stammt es von einem, der später Mitbegründer der Abstraktion wurde.

Doch bis dahin ist es – auch im Ausstellungsparcours – noch weit: Phasen theosophischen Rosas und Violetts sind zu erdulden, personifizierte Leuchttürme und ätherisch flirrende Kirchen durchzustehen. Die kubistischen Bilder wiederum unterscheiden sich kaum von denen Georges Braques, und warum Mondrian 1921 entschied, fortan rote, blaue und gelbe Rechtecke zu malen, erschließt sich nicht. Vielleicht hat ihn die berühmte Muse geküsst, vielleicht wurde ihm esoterisch-theosophische Erleuchtung zuteil.

Ob Mondrian alles glaubte, was die Theosophen über den „Urgrund“ der Welt schrieben, ist übrigens nicht überliefert. Einmal hat er allerdings gesagt, dass er den Theosophen „alles“ verdanke. Zweiter Lehrmeister war Goethe, dessen Farbenlehre mit den drei angeblich tradierten Grundfarben Blau, Rot und Gelb arbeitete.

Genau hier wird es aber interessant: Wissenschaftlich gesehen lauten die Grundfarben nämlich Cyan, Magenta und Gelb. Mondrian hat den Menschheits-Mythos, ja: die Illusion der drei „reinen Farben“ also bewusst verstärkt. Seine Blaus, Gelbs, Rots sind sorgsam gemischt und durch vielfache Schichtungen zum Leuchten gebracht. Dieser Kniff passt zur Idee der von Mondrian mit gegründeten „De Stijl“-Bewegung, die parallel zu Bauhaus und Konstruktivismus neue Formen für die Kunst forderte und die Befreiung der Farbe. Bei Mondrian hieß das dann Neo-Plastizismus.

Äußerlich befreit hat Mondrian die Farbe allerdings nicht, im Gegenteil: domestiziert durch ein rechtwinkliges Liniennetz fristet sie ihr Dasein. Doch er hielt diese Kombination schwarzer Gitter und asymmetrischer Farbfelder für geeignet, um das Wesentliche darzustellen: die asymmetrische Struktur des Universums, von der jedes Bild ein Ausschnitt ist. Denn Linien und Farben gehen, so die Suggestion, neben dem Gemälde weiter wie eine unendliche mathematische Zahl. Aber sie verändern sich auch auf der Zeitleiste, denn mit den Jahren, und das zeigen die abstrakten Hamburger Exponate sehr gut, wurden die Mondrians monochromer: Gab es zunächst ein Getümmel aller drei Farben, sind es bald zwei, dann noch ein verhuschtes Fleckchen Blau.

Vielleicht deshalb, weil er sein Liniennetz als Symbol des sich ausdehnenden Universums begriff. Und wo im Universum die Abstände zwischen Planeten mit der Extension größer werden, da werden es bei Mondrian die Farbfeld-Abstände. Vielleicht liegt es aber auch an der Perspektive: Die auf die Spitze gestellten „Rautenbilder“ wirken wie Nahaufnahmen, und den Kontext muss man sich selbst zurechtdeuten.

Und so hat Mondrian erreicht, was er wollte: Bilder, die ihr Geheimnis zugleich ver und enthüllen und die Manifestationen des Verborgenen sind.PETRA SCHELLEN

Bis 11. 5. 14, Bucerius Kunst Forum, Hamburg