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Archiv-Artikel

„Raus aus der Opferrolle“

WANDEL Die Autorin Amana Fontanella-Khan über Gewalt gegen indische Frauen, die Rolle der Medien bei der Aufklärung dieser Taten und die feministische Bewegung Gulabi Gang

Amana Fontanella-Khan

■ 1984 in Wien geboren, wuchs in Österreich auf. Für ihr Porträt der Frauen von der Gulabi Gang hat Amana Fontanella-Khan mehrere Jahre in Indien verbracht, zahllose Interviews mit allen Beteiligten geführt und Zeitungsartikel und Presseerklärungen ausgewertet. Ihr Buch „Pink Sari Revolution – Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens“ handelt vom Aufbegehren indischer Frauen gegen die Herrschaft der Männer.

■ Die Frauenrechtsaktivistin Sampat Pal Devi hat wie viele Mitglieder der Gulabi Gang (Deutsch: „pinke Bande“) am eigenen Leib erfahren, was es in Indien heißt, arm und eine Frau zu sein. Indem sie in Massen mit pinken Saris und Lathis (Knüppeln) in Erscheinung treten und ihre Auftritte medienwirksam inszenieren, setzen die Frauen untätige Behörden unter Handlungsdruck und wehren sich so gegen Gewalt und Unrecht. Fontanella-Khan schildert die Fälle der Gulabi Gang überaus lebendig und bewahrt dennoch kritische Distanz.

■ Amana Fontanella-Khan: „Pink Sari Revolution“. Aus dem Englischen von Barbara Schaden, Hanser Berlin 2014, 272 Seiten, 19,90 Euro

INTERVIEW SUSANNE KAISER

taz: Frau Fontanella-Khan, wie lässt sich der große Erfolg einer Frauenbewegung wie der Gulabi Gang in der jüngeren Zeit erklären?

Amana Fontanella-Khan: Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte Indiens, dass Frauen sich mobilisieren und gegen Gewalt zur Wehr setzen. Bereits zu Beginn der siebziger Jahre löste die Vergewaltigung einer jungen Frau von niedriger sozialer Herkunft in einer Polizeistation durch zwei Polizisten eine riesige Protestwelle aus. Tausende von Frauen gingen seinerzeit auf die Straße. Der Fall änderte damals nicht nur etwas im Bewusstsein über die Rechte von Frauen in der indischen Gesellschaft, sondern zog auch eine Reihe von Gesetzen zum Schutz von Frauen und Mädchen nach sich.

Wie spricht sich das herum?

Die explosionsartige Ausbreitung der Medien in Indien hat sicherlich dazu beigetragen, dass Frauenrechte ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt sind. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Mittelklasse seit der wirtschaftlichen Liberalisierung in den neunziger Jahren einen Boom erlebt hat. Plötzlich gibt es Millionen von Menschen, die politisch ermächtigt sind, eine Stimme haben und nach mehr Sicherheit für Frauen verlangen. Bemerkbar war das vor allem seit der Gruppenvergewaltigung in Delhi 2012, die im Land selbst und auch international für großes Aufsehen sorgte.

Sie haben den nicht unerheblichen Anteil der indischen Presse an der Erfolgsgeschichte der Frauen genannt. Wie würden Sie die Rolle der westlichen Medien in diesem Zusammenhang beurteilen?

Ein Problem sehe ich darin, dass Frauen in der Berichterstattung über Indien oftmals als passive und hilflose Opfer dargestellt werden, die über keinerlei Beistand verfügen. Natürlich muss über die schrecklichen Verbrechen gegen Frauen und deren Leidensgeschichten berichtet werden. Das ist aber nicht das ganze Bild, denn Frauen versuchen auch, sich zu wehren und ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Raus aus der Opferrolle hin zum Triumph über die Peiniger! Wenn wir diese Stärke und Tatkraft nicht anerkennen, sondern nur das Leid skizzieren, richten wir eher weiteren Schaden an, als zu helfen. Die Frauen werden so zu doppelten Opfern, einerseits von Gewalt und andererseits in der öffentlichen Wahrnehmung.

Was ist Ihrer Meinung nach die wirksamste Waffe der Frauen von der Gulabi Gang, wenn es gegen Behörden oder korrupte Politiker geht?

Die Protestaktionen der Gang finden großen Rückhalt in der Bevölkerung. Dazu trägt natürlich bei, dass die Frauen in ihren pinken Saris und mit ihren pinken Lathis ein Spektakel sind. Der Knüppel verleiht den Frauen Macht, aber nicht aus Angst davor, dass sie damit tatsächlich jemanden verletzen könnten. Es genügt allein die Vorstellung, dass bewaffnete Frauen losziehen, um sich gegen Männer zur Wehr zu setzen. Die Gang weiß dabei Publicity gezielt für sich zu nutzen und informiert vor jeder Aktion die Presse. Das verstärkt natürlich den Druck auf lokale Politiker oder Polizei- und Justizbehörden. Der Knüppel hat aber eigentlich eine andere Geschichte: Ursprünglich trugen nämlich vor allem ältere Witwen den Lathi als Gehstock bei sich.

Gibt es etwas spezifisch Weibliches an der Art und Weise, wie die Frauen sich für ihre Rechte einsetzen?

Sicherlich ermöglicht das Geschlecht den Frauen einiges, das Männer nicht so einfach tun könnten. Bei der Belagerung einer Polizeistation beispielsweise müssen sie nicht sofort mit Angriffen von Polizisten rechnen. Da ist die Hemmschwelle doch höher. Methodisch aber geht die Gulabi Gang nicht besonders weiblich vor, sondern macht sich eher die traditionell indische Taktik des Gherao zunutze, was in der Hindi-Sprache so viel wie Einkreisung bedeutet. Indische Zeitungen sind voll von Berichten über aufgebrachte Massen, die etwa eine Regierungsstelle besetzt halten und niemanden herauslassen. Für die einfachen Leute ist das die einzige Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen.