Eltern klagen gegen Mittagspause

Darf Bremens Traditionslehranstalt, das Alte Gymnasium, zur Ganztagsschule werden? Nein, meinen Eltern und ziehen vor Gericht: Das raube ihren Kindern die Freizeit. Lehrer verwundert: Das Abi nach nur 12 Jahren haben dieselben Eltern begrüßt

aus Bremen Armin Simon

Nein, der Toberaum ist noch nicht fertig. Auch wenn seit kurzem ein Tischkicker darin steht. Das Essen in der Caféteria ist „nicht so toll“. Und früher, berichtet einer der Siebtklässler, „konnte ich jeden Tag Fußballspielen“. Jetzt kommt er erst um 16 Uhr aus der Schule. Aber deswegen vor’s Gericht ziehen? Ein bisschen „übertrieben“, finden die Schüler.

Altes Gymnasium, Bremen, zweiter Stock. Es ist kurz nach eins, und vor den Zimmern der siebten Klassen tobt der Bär. Eine gute halbe Stunde dauert die Mittagspause noch, dann folgen Unterrichtsstunde sechs bis acht. „Völlig von der Rolle“ seien die Kinder, wenn sie nach einem solchen Tag nach hause kämen, sagt Klaus Ventzke, das Stundenmodell, das die altehrwürdige Schule für die diesjährigen siebten Klassen ersonnen hat, sei schlicht „gesundheitsschädlich“. Im März stimmte die Bildungsdeputation dem Antrag des Gymnasiums zu, Ganztagsschule zu werden, die Schulkonferenz hatte dies zuvor einstimmig befürwortet. Ventzke und seine Frau fühlen sich überrumpelt. Sie sehen die „innere Verbundenheit der Familie“, die Erziehungs- und – weil der Nachmittagsunterricht mit dem Konfirmandenunterricht kollidiere – Religionsfreiheit in Gefahr.

70 Unterschriften gegen das Vorhaben reichten sie bei der Schulbehörde ein, ohne Erfolg. Dann beantragte Ventzke, stellvertretend, eine einstweilige Anordnung gegen den Nachmittagsunterricht. Ein Schüler habe die Schule bereits verlassen, viele andere seien „auf dem Sprung“, unterstreicht der Arzt.

Seinen Antrag wies das Bremer Verwaltungsgericht indes in Bausch und Bogen zurück. Die Entscheidung über den zeitlichen Rahmen des Schulunterrichts liege „grundsätzlich im Ermessen des Staates“, beschieden die Richter den Eltern. Ein Verstoß gegen deren Erziehungsrecht sei in der Stundenplangestaltung nicht zu erkennen. Ventzkes haben Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingereicht.

Derweil wird der Streit medial ausgetragen. Von „Kasernierung“ der SchülerInnen ist die Rede, diese seien mittags im Flur vor ihren Klassenzimmern eingesperrt, behauptet Ventzke. „Das find’ ich ziemlich unverschämt“, sagt Ingo Matthias dazu. Der Deutsch- und Englischlehrer koordiniert das Projekt „Ganztagsschule“. Drei Klassenzimmer seien mittags geöffnet, auch zum stillen Arbeiten, außerdem lade eine Wiese hinter der Schule zum Spielen ein, betont er. Den Fußball dafür gibt’s beim Sozialarbeiter.

Die Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre bis zum Abitur, inzwischen Gesetz, sei gerade von den eher leistungsorientierten Eltern des Alten Gymnasiums mehrheitlich begrüßt worden, erzählt eine Lehrerin. Damit einher gehe eine höhere Wochenstundenzahl. Vier bis fünf Freizeitaktivitäten in der Woche, wie sie manche Kinder und Eltern bisher gewohnt seien, „sind so einfach nicht zu schaffen“. Und dass die Kinder in den vier Übungsstunden, die im Stundenplan enthalten sind, bisher häufig quatschten, anstatt ihre Hausaufgaben zu machen, zähle eben mit zu den Startschwierigkeiten des Projekts. Die Kinder müssten nun früher lernen, sich selbst und eigenverantwortlich zu organisieren.

Ventzke lässt das nicht gelten. Ohne die Übungsstunden, argumentiert er, ließe sich das Stundenpensum bequem mit einem einzigen Tag Nachmittagsunterricht unterbringen. Die Schule habe die Unterrichtszeit ohne sachlichen Grund, allein um an die Ganztagsschulgelder zu kommen, „künstlich in die Länge gezogen“, sagt er. „Da findet nichts Wesentliches mehr statt.“ Die knappen Ganztagsschul-Mittel solle die Stadt besser an sozialen Brennpunkten einsetzen, findet er: „Es gibt unheimlich viele sozial schwierige Gegenden, wo das nötig wäre.“

Ganztagsschul-Koordinator Matthias hat letztes Jahr eine der siebten Klassen unterrichtet, noch nach dem alten System. Drei der SchülerInnen wurden nicht versetzt. „Wenn die schon die Ganztagsschule gehabt hätten“, sagt er, „dann hätten die keine Probleme gehabt.“