Pflegebedürftige werden neu begutachtet

REFORM Die Pflegeversicherung muss grundlegend reformiert werden – darüber ist sich die Große Koalition einig. Doch in der Praxis ist das kompliziert. Nun beginnt eine Probephase, die es in sich hat

BERLIN taz | Pflegerinnen werden mit Handcomputern durch die Zimmer ihrer Heimbewohner ziehen. Tabletten ans Bett der gehbehinderten Frau Maier? Eine Minute. Den dementen Herrn Schulte ins Bad geleiten und dort rasieren? Kann 20 Minuten dauern. Jeder Handgriff, jede Leistung, jedes Gespräch wird erfasst. Wer bekommt was in welcher der derzeit drei Stufen der Pflegeversicherung – das ist die Frage, die nach dem Willen des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) und der Chefin des Spitzenverbands der Krankenkassen, Doris Pfeiffer, empirisch erforscht werden soll.

Daneben, das sagten Gröhe und Pfeiffer am Dienstag in Berlin, sei zu klären, welcher Pflegebedürftige wie eingeordnet werden müsse und welche Leistungen genau er bekommen solle, wenn es statt der drei Stufen künftig fünf Pflegegrade geben wird. Es ist eine der größten Herausforderungen in der Pflegepolitik: Das Begutachtungssystem für Pflegebedürftige muss umgestellt werden, darüber ist sich die Große Koalition einig. Die Pflegestufen sollen nicht nur quantitativ von drei auf fünf erweitert werden; es soll auch eine qualitative Reform geben: Künftig sollen nicht nur körperliche, sondern auch geistig-kognitive Defizite in der Pflegeversicherung berücksichtigt werden.

Weil die Umstellung auf diesen „neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff“ aber nicht auf Knopfdruck geschehen könne, würden ab sofort zwei „Erprobungsstudien“ durchgeführt, sagte Gröhe. Zum einen würden Mitarbeiter der Medizinischen Dienste der Krankenkassen ab sofort und bis Ende des Jahres 2.000 Pflegebedürftige nach dem derzeit gültigen Stufenverfahren und nach einem neuen Instrument begutachten. Ziel sei, die Tauglichkeit des neuen Instruments zu prüfen.

Zusätzlich würden – in einer weiteren Studie – Gutachter der Universität Bremen zwischen April 2014 und Januar 2015 weitere 2.000 Pflegebedürftige in 40 Pflegeheimen begutachten nach dem, was sie derzeit an Leistung bekämen. Auf dieser empirischen Grundlage, sagte der Bremer Studienleiter Heinz Rothgang der taz, müssten dann die künftigen Leistungshöhen je Pflegegrad in Abhängigkeit vom Pflegeaufwand ermittelt werden.

Die Kosten der beiden Studien, 900.000 Euro, werden aus Beitragsgeldern der gesetzlichen Pflegeversicherung finanziert. HEIKE HAARHOFF