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Archiv-Artikel

Behinderte werden verschaukelt

Der Behindertenbeauftragte fordert von der neuen Koalition mehr Einsatz für behinderte Menschen. Sie würden von Behörden häufig diskriminiert – etwa durch Leistungskürzungen beim Sozialamt

von ULRICH SCHULTE

Der Behindertenbeauftragte des Landes, Martin Marquard, fordert von der künftigen rot-roten Regierung mehr Rechte für behinderte Menschen. Ihre Interessen müssten mit einem eigenen Kapitel in der Koalitionsvereinbarung bedacht werden, sagte Marquard gestern. Rund zehn Prozent der BerlinerInnen haben eine Behinderung. Gleichzeitig stellte Marquard den jährlichen Bericht vor, in dem er Verstöße der Behörden gegen das Gleichberechtigungsgesetz auflistet.

Marquard will zum Beispiel ein klar geregeltes Mitspracherecht. In jeder Senatsverwaltung existiert bereits eine Arbeitsgemeinschaft, in der Behördenvertreter und Fachleute Beschlüsse auf ihre Folgen für behinderte Menschen abklopfen – und gegebenenfalls früh ändern. „Die AGs haben sich als Instrument der Diskussion und Konsensfindung bewährt“, sagt Marquard. Er will sie im Koalitionspapier „bekräftigt“ wissen.

Außerdem setzt er sich für eine neue Definition des Begriffs der Barrierefreiheit ein – ein Denken über die abgesenkte Bordsteinkante für Rollstuhlfahrer hinaus. „Es geht darum, Hürden im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt und in den Köpfen abzubauen“, so Marquard: „Berlin muss barrierefrei im allumfassenden Sinn sein.“ Zum Beispiel müsse der Senat „gezielte Aufklärungsarbeit“ betreiben, um mehr körperlich und geistig Behinderte auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. „Die psychologischen Barrieren in den Betrieben sind zu hoch“, so Marquard. In Schulen fordert er zusätzliche Lehrer und eine bessere Ausstattung, um behinderte Kinder fördern zu können. Laut Schulgesetz hat jedes Kind Anspruch auf einen Platz an einer normalen Schule, der Schulleiter darf es aber, wenn er Personal und Räume nicht passend findet, ablehnen. „Die Politik muss einen gesetzlichen Anspruch auch umsetzen, alles andere ist inkonsequent“, sagt Marquard. Bei Behörden stellt er immer wieder Verstöße gegen das Gleichberechtigungsgesetz fest, auch wenn die Zahl abnimmt. Das Sozialamt Spandau wies alle Mitarbeiter an, Sozialleistungen für Behinderte zu prüfen, um Geld zu sparen. Sprich: Anträge auch mal abzulehnen und hoffen, dass Widerspruch ausbleibt. „Das war grenzwertig, was dort aufgeschrieben wurde“, so Sozialstaatssekretärin Petra Leuschner.

Die Senatsverwaltung für Finanzen hat vor zwei Jahren 30 Kassenautomaten für Bezirksämter bestellt. An den so genannten Dienstleistungsautomaten können Bürger fällige Gebühren ein- oder auszahlen – die Ämter sparen so Personal. Marquard bemängelt, dass Rollstuhlfahrer die Knöpfe nicht bedienen könnten, zudem fehle eine Sprachausgabe per Kopfhörer für blinde Menschen. Des ungeachtet will die Finanzverwaltung sechs weitere der Automaten für die Ausländerbehörde und eine Kfz-Zulassungsstelle einkaufen. Die Behörde verteidigt den Kauf. „Den Automaten, den Marquard will, gibt es nicht auf dem Markt“, sagt ein Sprecher. Sein Kriterienkatalog sei „zu scharf und preislich nicht darstellbar“. Zudem gebe es einen mit Mitarbeitern besetzten Schalter.