Die Kunst der Niederlage

Die Ausstellung „Der Kardinal. Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen“ entdeckt die verloren gegangene Pracht wieder, mit der das katholische Halle des frühen 16. Jahrhunderts prunkte

von BRIGITTE WERNEBURG

Man feiert Oscar-Nacht in Hollywood – und Jesu begegnet der Ehebrecherin. Ein älteres Paar, in dem man unschwer die Herren Statler und Waldorf zu erkennen glaubt, überblickt von einer Empore aus das Treiben in einem herrlichen Saal – im Zentrum der weibliche Star und ihr Begleiter, dicht umdrängt von den auffallend elegant bis extravagant gekleideten Szenegrößen.

Entgegen der spontanen Assoziation entstand die glamouröse, wenngleich etwas ungeschickt gemalte Szene, die Heinrich Vogtherr d. Ä. zugeschrieben wird, schon 1521. Sie hing – laut dem Inventar der Stiftskirche Halle von 1525 – am Pfeiler neben der „Erasmusmarter“. Damit ist sie Teil eines aufwändigen Bildprogramms, das dem Leidenswegs Christi galt, dargestellt in einem 142-teiligen Bilderzyklus auf 16 Altären und zwei Einzeltafeln im Dom von Halle. Kardinal Albrecht von Brandenburg hatte ihn 1520 bei der Cranach-Werkstatt in Wittenberg in Auftrag gegeben.

Als jüngster Sohn des Kurfürsten Johann Cicero von Brandenburg machte Albrecht schon in jungen Jahren eine ungewöhnlich steile kirchliche Karriere. Mit 23 Jahren wurde er Erzbischof von Magdeburg, im Jahr darauf Kurfürst-Erzbischof von Mainz und damit Reichserzkanzler, 1518 schließlich Kardinal. Den nötigen Freiraum für seine ehrgeizige Kunstpolitik bot ihm Halle mehr als Mainz, und so wurde die Saalestadt ab 1520 Ausgangsort der Renaissance in Mitteldeutschland und Zentrum einer enormen Prachtentfaltung. All das findet sich nun gebündelt in der Ausstellung „Der Kardinal. Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen“ wieder. Seine historische Bedeutung verdankt Albrecht allerdings seiner Rolle im Ablasshandel der Zeit, der Anstoß für die 95 Thesen Martin Luthers gab, der auch bald zu seinem schärfsten Widersacher wurde.

Nicht die Prachtentfaltung selbst, die für Albrecht Ausdruck der kulturschaffenden Kraft des alten Glaubens war, die er noch einmal in vollem Glanz bezeugen wollte, sondern die daraus resultierende Schuldenlast führte in die Niederlage. Nachdem sich alle benachbarten Fürstentümer und zuletzt 1539 auch Brandenburg zur Reformation bekannten, musste Albrecht um seinen wertvollen Kunstbesitz fürchten und überführte 1540 alles bewegliche Gut nach Mainz. Außer Arbeiten von Cranach dem Älteren und seiner Werkstatt zählten dazu Werke vor allem von Albrecht Dürer, Hans Sebald Beham und Matthias Grünewald. Der größte Teil der Kunstwerke gelangte schließlich in seine Aschaffenburger Residenz, wo er Mitte des 16. Jahrhunderts einem Brand zum Opfer fiel. Das wenige, das erhalten blieb, ist heute auf der ganzen Welt verstreut und wurde nun – erstmals seit rund 500 Jahren – wieder an seinem Ursprungsort Halle zusammengeführt.

Neben Messgewändern, wertvollen Teppichen, erlesenen Gerätschaften für sakrale wie profane Zwecke, kostbaren Handschriften und Druckwerken, stehen vor allem die Reste des so genannten Halle’schen Heiltums – Albrechts gigantischer Reliquiensammlung – und des Passionszyklus im Mittelpunkt der unbedingt sehenswerten Ausstellung. Während der Blick in der Moritzburg auf die originalen Bilder und Schätze fällt und eine Installation aus Lichtvitrinen und temporären Einbauten im Dom versucht, einen visuellen Eindruck der ursprünglichen Ausstattung zu vermitteln, führt in der Residenz allein eine karge Schautafel in die Bau- und Nutzungsgeschichte des Gebäudes ein.

Da Albrecht von Brandenburg üblicherweise nur im Zusammenhang mit Luther und der Reformation Erwähnung findet, meint man in seiner Kunstpolitik eine Art vorweggenommene Gegenreformation zu sehen. Noch ist aber keinerlei ikonografische Festlegung zu erkennen, die als katholisch oder protestantisch gedeutet werden müsste. Wohl aber wird Albrechts Wille deutlich, in seinem Kunstgeschmack State of The Art zu sein. Daher lässt er der bestehenden Dominikanerstiftskirche, die er gegen ein Kloster eingetauscht hatte, nach dem Vorbild der venezianischen Renaissance eine Serie von Rundbögen als Attikageschoss vorblenden. Er gibt ihr damit ein modernes Erscheinungsbild, das sich auch im einheitlich gestalteten Innenraum fortsetzt, der ganz im Dienst des Bildprogramms der Altäre steht.

Das Hauptwerk bildete hier die Erasmus-Mauritius-Tafel von Matthias Grünewald. Flankiert vom hl. Erasmus und dem Reichsheiligen Mauritius, dem schwarzen Anführer der ägyptischen Legion in Gallien, verkörpert Albrecht die Einheit von Kirche und Staat im Reich. Da die Tafel aus der Alten Pinakothek in München mit einem generellen Ausleihverbot belegt ist, steht nun der Magdalenen-Altar im Zentrum des Passionszyklus, soweit er eben in der Moritzburg zusammengetragen werden konnte. Erstmals ist die Mitteltafel des Altars mit der Auferstehung Christi aus der Aschaffenburger Stiftskirche wieder komplett mit seinen vier Seitenflügeln und der Predella zu sehen.

Betrachtet man nun die Namensgeberin des Altars (dessen Restaurierung die Ernst von Siemens Kunststiftung mitfinanzierte), möchte man auch in der Schutzpatronin des Doms einen Hollywoodstar wenigstens vom Format einer Nicole Kidman erkennen. Die Cranach-Werkstatt jedenfalls nahm das Vorleben der hl. Magdalena als Prostituierte zum willkommenen Anlass, sie auf dem großen Format von 233 x 73 cm, mit allen Zeichen eines höfisch-weltlichen Kleiderluxus auszustatten und sie damit zur überlebensgroßen Ikone irdischer Schönheit zu stilisieren. Überhaupt ist eine auffallende Präsenz von Frauen auf den Altartafeln zu beobachten. Deutlich leben die Bilder von dem unausgesprochenen Motiv „mit schönen Frauen schöne Dinge tun“ und schmücken daher die heiligen Geschichten mit heiligen Frauen, deren Attraktivität notwendigerweise mit einer unheiligen Vergangenheit verbunden ist.

Ob die Frauen wirklich, wie die Bilder nahe legen, damals so ungeniert und frei in der Öffentlichkeit auftreten konnten, wie sie es erst heute wieder tun, darüber geben die Kunsthistoriker keine Auskunft. Immerhin wissen sie, dass der Kardinal durch seine Konkubinate – Ursula Redinger war 1525 aktuell, später wurde sie von Agnes Pless abgelöst – vom Thema „Christus und die Ehebrecherin“ betroffen war. Der Kampf der katholischen Kirche um die unauflösliche Ehe oder das Zölibat war schon immer im Wesentlichen vergeblich, ob beim eigenen Personal oder den Schäflein der Gemeinde.

Erfolglos war, wie schon gesagt, auch das Mäzenatentum und kunstsinnige Werben des Kardinals für den alten Glauben, das bald nur noch als Verschwendungssucht wahrgenommen wurde. Die prunkvollen liturgischen Feiern mit dem großartig inszenierten Herzeigen der kostspieligen, mit Gold und Edelsteinen verzierten Reliquiare, den prächtigen Gewändern, der kunstvollen Rhetorik, der Musik, dem Weihrauch und sonstigem Pomp and Circumstances, bestanden nicht gegen die Probleme der Zeit, gegen politische Ambitionen und Koalitionen, für die die Frage des rechten Glaubens oft nur Mittel zum Zweck war. Der Sieg des Protestantismus jedenfalls war in der Lieblingsresidenz des Kardinals absolut.

Tatsächlich muss das katholische Halle des Kardinals, der den Humanisten Ulrich von Hutten an seinen Hof berief und mit Erasmus von Rotterdam korrespondierte, in der Stadt gesucht werden; es liegt mit dem Dom und der Residenz, für die weder Gemeinde noch Land eine rechte Verwendung und damit Restaurierungsmittel finden, räumlich und touristisch etwas abseits. Und da, wo es, wie im Falle des Brauhauses „Zum Kühlen Brunnen“, im Zentrum liegt, scheint der prachtvolle Wohnsitz von Albrechts Kämmerer Hans von Schenitz als ein Schatz der Halle’schen Renaissance-Architektur kaum wahrgenommen zu werden. Da die nicht gerade üppig vorhandenen, immer aber exquisiten Exponate in der Moritzburg schnell ein Gespür für dieses unter- oder hintergründige Bild eines alten Halle (die Stadt feiert ihr 1.200-jähriges Bestehen) vermitteln, machen sie Lust auf weitere Entdeckungen, und so mündet der Ausstellungsbesuch zwangsläufig in eine spannende Stadterkundung.

Die Moritzburg selbst, die das Kunstmuseum Sachsen-Anhalt beherbergt, wird zur Zeit mit einigem Aufwand restauriert. Max Sauerlandt, der 1910 zum Direktor der damaligen städtischen Galerie berufen wurde, entwickelte sie zu einer profilierten Sammlung zeitgenössischer Kunst. Zunächst mit einer Reihe expressionistischer Gemälde, später durch Ankäufe von Arbeiten El Lissitzkys, Franz Marcs und Lyonel Feiningers, der sich zeitweilig im Torturm der Moritzburg ein Atelier eingerichtet hatte.

Obwohl ein Großteil der Sammlung in der Zeit des Nationalsozialismus verloren ging, gelang es dem Museum nach dem Krieg, die Sammlung teilweise wieder zu rekonstruieren und zu ergänzen. Dass nun der West- und Nordflügel der Anlage durch das Madrider Architekturbüro Nieto/Sobejano auf ausgesprochen raffinierte Weise zu neuen Ausstellungsräumen um- und aufgebaut wird, bestätigt den Kardinal am Ende doch: Kunst ist ein überzeugendes Mittel, Menschen und Geld in Bewegung zu bringen. Denn beauftragten der Kardinal und seine Kirche damals noch die Künstler, in aller Drastik zu demonstrieren, wie die Hölle ausschaut – immerhin ein nicht ganz unerhebliches Druckmittel im Ablasshandel –, wissen wir heute: Sind keine Künstler mehr aufzutreiben, befinden wir uns dort.

Bis 26. November, Katalog (Schnell + Steiner Verlag, Regensburg) 2 Bde., 39 Euro (Museum) bzw. 49 Euro