Politische Aufklärung als tägliche TV-Show

ÖFFENTLICHKEIT Die wichtigsten Stimmen intellektueller Opposition gegen die tonangebende konservative Kultur in den USA sind inzwischen zwei Comedians: Jon Stewart und Stephen Colbert. Auch im aktuellen Wahlkampf

Ihre Message: Das ist doch alles Wahnsinn, kann bitte mal jemand denken? Ihr Mittel: Fake News

VON BERND PICKERT

Manches ist in diesen Tagen ziemlich verrückt in den USA. Zum Beispiel: Die größte Mobilisierung gegen den Rechtskonservativismus der Tea Party und gegen die übermächtige Meinungsmaschinerie des Rupert-Murdoch-Senders Fox News kommt, drei Tage vor den wichtigen Kongresswahlen, von zwei Comedians.

Nicht Bürgerrechtler, nicht die Grassrootsorganisationen im Umfeld der Demokratischen Partei rufen für diesen Samstag zur Großdemonstration nach Washington, sondern Jon Stewart, Anchorman der Comedy-Sendung „Daily Show“, und Stephen Colbert, Host des „Colbert Reports“, tun es. Beide senden viermal die Woche auf dem Kabelsender Comedy Central – und beide sind in den vergangenen zehn Jahren zu den vielleicht wichtigsten Stimmen intellektueller Opposition gegen eine politische Kultur in den USA geworden, die immer mehr von den Extremen bestimmt ist und offene Debatten nicht mehr zulässt.

Im Aufruf zur Großdemonstration in Washingtons Mall heißt es: „Wir suchen die, die der Meinung sind, dass Herumschreien beleidigend, kontraproduktiv und schädlich für die Stimmbänder ist, die das Gefühl haben, dass nicht nur die lautesten Stimmen gehört werden sollten, und die glauben, dass es nur dann angebracht ist, jemandem ein Hitlerbärtchen ins Gesicht zu malen, wenn es sich dabei tatsächlich um Hitler handelt – oder um Charlie Chaplin in bestimmten Rollen.“

Niemand weiß bislang, wie die Kundgebung genau aussehen wird, weder Redner noch Musikbeiträge sind angekündigt. Sicher aber ist schon mal: Zehntausende werden kommen – manche aus reiner Neugier und Lust am Spektakel, viele aber auch mit einem ganz ernsten Anliegen. In der Kommentarsektion zu einem kritischen Artikel über die geplante Kundgebung schreibt „Katio“: „Ich bin eine 60-jährige Frau, die insgesamt zwölf Stunden im Bus sitzen wird, um dabei zu sein. Meinen Sie, dass ich das nur für eine Comedy Show unternehme? Sie haben ja keine Ahnung, wie viele gern wahrgenommen werden wollen, ohne die Schreihälse noch überschreien zu müssen.“

Das Motto der Kundgebung, „restore sanity“ (zurück zur Vernunft), ja überhaupt der gewachsene Einfluss der beiden Comedians auf ihr linksliberales Publikum ist nicht zu verstehen ohne den Erfolg von Fox News. Seit der Kabelnachrichtensender des konservativen Medienzars Rupert Murdoch 1996 auf Sendung ging, ist Fox News zur rechten Kampfmaschine geworden – und gleichzeitig zum erfolgreichsten Nachrichtensender der USA.

Fox News hat einen extrem einseitigen Journalismus etabliert, der ohne schrille Töne kaum noch auskommt. Was vor 15 Jahren noch den ersten konservativen Talk Radios vorbehalten war, ist bei Fox News journalistischer Standard geworden. Seine rechten Krawalljournalisten, von Bill O’Reilly bis Sean Hannity, lassen keine Gelegenheit aus, auf die Linke einzuschlagen. Sarah Palin, die ehemalige Gouverneurin von Alaska und mit John McCain gescheiterte Vizepräsidentschaftskandidatin, steht bei Fox auf der Gehaltsliste. Dass die Tea Party überhaupt so stark werden konnte, dass sich das Land in den acht Jahren der Bush-Regierung so weit nach rechts entwickelt hat, hat auch etwas mit dieser Medienmaschine zu tun. Fox-Moderator Glenn Beck gab mit seiner Kundgebung „Restore Honour“ (etwa: zurück zur Ehre) vor dem Lincoln Memorial in Washington, die weitgehend als nationale Großdemonstration der Tea Party ausgerechnet am Jahrestag des Martin-Luther-King-Marsches gesehen wurde, das Abziehbild für die Kundgebung an diesem Wochenende.

Während auf der Linken Keith Olberman bei MNSBC einen ähnlichen Krawalljournalismus veranstaltet, sind die einzigen, die diese Art der Propaganda – und das langweilige Geplapper der anderen TV-Sender – regelmäßig grundsätzlich attackieren, Jon Stewart und Stephen Colbert in ihren Sendungen auf Comedy Central.

Ihre Message: Das ist doch alles Wahnsinn, kann bitte mal jemand denken? Ihre Haltung: aufklärerisch-humanistisch. Ihre Mittel: Comedy in Form von Fake News, Nachrichtensendungen, die keine sind. Stets bestens informiert und höchst aktuell nehmen sie die Absurditäten der Tagespolitik aufs Korn – und die Berichterstattung darüber.

Alles, nur nicht harmlos

Mehrere Studien über die Mediengewohnheiten junger Leute legen nahe, dass ein Großteil der unter Dreißigjährigen seine politischen Informationen hauptsächlich aus Daily Show und Colbert Report beziehen – was Colbert selbst anzweifelt: „Wenn die nicht schon informiert wären, würden sie die Witze nicht kapieren“, sagte er als Gast in der MSNBC-Sendung „Meet the press“. Die Daily Show ist klares – aber unerreichtes – Vorbild der „heute show“ des ZDF.

Schon im letzten Wahlkampf hatten die Comedy Shows eine wichtige Rolle gespielt. Der Videoclip mit der Parodie von Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin durch Schauspielerin Tina Fey in der Show „Saturday Night Live“ verbreitete sich im Internet. Stephen Colbert erreichte spätestens Kultstatus, als er 2006 beim Dinner der White-House-Korrespondenten in Anwesenheit des damaligen Präsidenten George W. Bush eine Rede hielt, die die Grenzen harmloser Witzigkeit so klar überschritt, dass die Anwesenden sich hilflos umsahen, ob man da eigentlich noch klatschen dürfe.

Und im September dieses Jahres lud eine demokratische Kongressabgeordnete den Comedian ein, bei einer Anhörung zum Thema „Migranten in der Landwirtschaft“ als „Experte“ auszusagen – Colbert, stets in seiner TV-Rolle als angeblicher Konservativer, nahm die Einladung gern an und erzeugte eine so große Medienöffentlichkeit für das Thema, wie sie der Unterausschuss zuvor nie erlebt hatte. Mit Al Franken sitzt seit 2009 gar ein früherer Standup Comedian für die Demokraten im Senat, nachdem er in Minnesota ein knappes Rennen gegen seinen republikanischen Konkurrenten gewonnen hatte.

Da wundert es schon nicht mehr, dass Präsident Obama sein einziges ausführliches Fernsehinterview in dieser Woche vor der Wahl nicht etwa Wulf Blitzer von CNN gab – sondern Jon Stewart in der Daily Show.