off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Ein Film, der Tragik, Komik und Melancholie seiner Handlung subtil in der Waage hält: In Safy Nebbous Regiedebüt „Der Hals der Giraffe“ begeben sich Mitglieder dreier Generationen einer Familie auf die Suche nach der verschollenen Frau/Mutter/Oma. Die Reise, die sie dazu unternehmen müssen, ist letztlich eine Metapher: Es handelt sich um eine Lebenslügen aufdeckende Reise in die Vergangenheit, nach der sie der Zukunft gestärkt ins Auge blicken können. Auslöser des Geschehens ist die neunjährige Mathilde (Louisa Pili), die beim Spielen einen an sie gerichteten Brief ihrer Großmutter gefunden hat. Da ihre Mutter Hélène (Sandrine Bonnaire) ihr erzählt hat, die Oma sei seit vielen Jahren tot, erwartet sie eine Aufklärung des Sachverhalts durch den grummeligen Großvater Paul (Claude Rich). Jenen nötigt sie zu einer Reise nach Biarritz, wo die Oma offenbar zuletzt gelebt hat. Nun muss Paul gestehen, dass seine Frau ihn einst für einen anderen Mann verlassen hatte – woraufhin er alle ihre Versuche unterband, noch einmal Kontakt mit der Familie aufzunehmen. Claude Rich und Sandrine Bonnaire verkörpern ihre Figuren als reichlich zugeknöpfte, durch diesen Vorfall verbitterte Menschen, deren Gefühlswelt durch Mathildes Initiative schließlich eine Neubelebung erfährt: Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die Wiederbegegnung mit Orten und Personen seines früheren Lebens wirkt für Paul so befreiend, dass es des tatsächlichen Wiedersehens mit seiner Exgattin gar nicht bedarf, um ihn einen Neuanfang wagen zu lassen.
Eine Reihe mit Filmen von Krzysztof Kieslowski zeigt dieser Tage das Babylon Mitte. Neben frühen Kurzfilmen und Fernseharbeiten kommt dabei auch „Der Filmamateur“ aus dem Jahr 1979 zum Einsatz, in dem sich der polnische Regisseur über sein eigenes Metier im Verhältnis zu Staat und Gesellschaft Gedanken macht. Sein Held, Filip, hat sich nämlich eigentlich nur eine Kamera gekauft, um private Aufnahmen von seinem kleinen Kind zu machen, und wird doch bald vom Chef genötigt, einen Film über das Firmenjubiläum zu drehen. Der Beginn einer steilen Karriere: Filip, der amateurhaft alles filmt, was sich bewegt, landet auf einem Amateurfilmfestival, lernt berühmte Regisseure und Fernsehredakteure kennen, diskutiert mit Kritikern– was von Kieslowski durchaus ziemlich komisch gestaltet wird. Doch bald schon sieht sich Filip selbst als ein engagierter Filmemacher, der mit einem kritischen Filmbericht den sozialistischen Staat auf den Plan ruft …
Für alle, die seinerzeit den Fernseh-Vierteiler „Der Seewolf“ (1971) gesehen hatten, war es das Tagesgespräch: wie der Schauspieler Raimund Harmsdorf in der Titelrolle der Jack-London-Verfilmung als Demonstration seiner Kraft eine rohe Kartoffel in der Faust zerdrückte. Tja, das waren noch Zeiten – als Fernsehfilme so wichtig, aber auch so interessant, aufwändig und sorgfältig produziert waren, dass jeder darüber redete. Inszeniert hatte die Seefahrersaga Regisseur Wolfgang Staudte, der dieser Tage einhundert Jahre alt geworden wäre. Lars Penning