„Die Nazis werden frecher“
Es ist nur einer von vielen Vorfällen: In Hennigsdorf verschwinden über Nacht vier Stolpersteine. Ausländerbeauftragte und die Antifa sind sich einig: Das war eine organisierte rechtsextreme Aktion. Die Stadtverwaltung winkt ab
Fein säuberlich seien sie entfernt worden, erzählt die Hennigsdorfer Flüchtlingsbeauftragte Simone Tetzlaff. Am Morgen des 9. August waren vier Stolpersteine in der Neuendorfstraße verschwunden. Eine Polizistin hatte die Lücken im Gehweg bemerkt. Drei Monate zuvor waren neun Gedenksteine für im Nationalsozialismus ermordete Hennigsdorfer von dem Künstler Gunter Demnig verlegt worden. Die Stolpersteine fehlen bis heute.
Die Stadtverwaltung erstattete unmittelbar nach der Tat Anzeige. Auf mögliche Verdächtige will sie sich hingegen nicht festlegen. „Es wird in alle Richtungen ermittelt“, sagt Ilona Möser, Pressesprecherin der Stadt. „Vielleicht waren es Rechte, vielleicht war es auch nur Vandalismus.“ Der Standort der Stolpersteine sei etwas abseits gelegen gewesen. „Wer die klauen wollte, konnte das relativ unbemerkt tun.“ Jemand aus einer festen rechten Szene Hennigsdorfs? „So was haben wir nicht, Gott sei Dank“, winkt Möser ab.
„Das war eine organisierte rechtsextreme Aktion“, ist sich hingegen Simone Tetzlaff sicher. Die Frau von der Ausländerberatung kümmert sich um die Flüchtlinge im örtlichen Asylbewerberheim und wirft in diesem Zusammenhang zwangsläufig auch immer einen Blick auf rechtsextreme Strukturen in Hennigsdorf.
Auch eine Sprecherin der Antifaschistischen Initiative sieht an einer rechten Täterschaft keine Zweifel. „Seit März dieses Jahres nehmen solche Vorfälle hier extrem zu“, so die Aktivistin. Die Albert-Schweitzer-Oberschule und das Sowjetische Ehrenmal seien kürzlich mit Hakenkreuzen und NS-Parolen beschmiert worden, der Neonazi-Laden „On the Streets“ sei umgezogen und biete nun noch näher am Stadtzentrum seine rechten Artikel feil. Ein Schüler der Schweitzer-Schule habe die Klasse wechseln müssen, weil er als linker Aktivist von Klassenkameraden mehrmals zusammengeschlagen worden sei. „Die Rechten werden wieder frecher“, bestätigt auch Tetzlaff. Nach dem Anschlag auf einen Dönerimbiss im Jahr 2003 und der Inhaftierung eines Neonazis war es ruhiger geworden in der Brandenburger Kleinstadt.
Die Stadtverwaltung will nun zumindest die fehlenden Stolpersteine aus eigener Tasche ersetzen lassen. Und auch die Antifa-Initiative möchte ein Zeichen setzen: Auf ihrer Antirassismus-Demonstration am 21. Oktober will sie gegen den Stolperstein-Klau und gegen den Neonazi-Laden „On the Streets“ protestieren. Konrad Litschko