Über 650.000 Opfer im Irak?

Eine Studie schätzt, dass seit dem Einmarsch von US-Truppen in den Irak im Jahr 2003 rund 15.000 Menschen monatlich an den Folgen des Kriegs gestorben sind

WASHINGTON taz ■ Durch die Folgen des Krieges im Irak sind nach einer Studie US-amerikanischer und irakischer Forscher fast 655.000 Menschen ums Leben gekommen. Die regierungsunabhängige Untersuchung wurde gestern vom britischen Medizinjournal The Lancet im Internet veröffentlicht. So viele Opfer des Krieges, rund 15.000 pro Monat seit dem US-Einmarsch im Irak im März 2003, hat bislang keine Schätzung angenommen.

Die Wissenschaftler um Gilbert Burnham von der John-Hopkins-Universität in Baltimore im US-Staat Maryland hatten für ihre Untersuchung 1.849 Haushalte mit knapp 13.000 Menschen an 47 ausgewählten Orten im Irak nach Todesfällen zwischen Januar 2002 und Juni 2006 befragt. Die Haushalte meldeten insgesamt 629 Todesfälle in diesem Zeitraum, wovon 87 Prozent nach Kriegsbeginn erfolgten. Daraus errechneten die Forscher eine Sterberate von jährlich 13,3 von 1.000 Menschen im Irak seit Kriegsbeginn, gegenüber 5,5 vor dem Krieg. Durch eine Hochrechnung dieser Differenz auf Iraks Gesamtbevölkerung kommen die Forscher auf landesweit 392.979 bis 942.636 zusätzliche Todesfälle seit Kriegsbeginn, mit einem Mittelwert von 654.965 Toten. Das wären rund 2,5 Prozent der irakischen Bevölkerung.

Diese Ergebnisse untermauerten eine vor zwei Jahren erschienene Einschätzung desselben Forscherteams. Die zählte bis 2004 rund 100.000 zusätzliche Todesfälle zur gewöhnlichen Sterberate seit Kriegsbeginn. Seitdem habe sich die Situation dramatisch verschlechtert.

Das Fachblatt betont, die Methode sei solide. Alle vier Gutachter hätten die Veröffentlichung empfohlen, heißt es in einem redaktionellen Kommentar des ältesten Medizinjournals der Welt. Eine Gutachterin habe unterstrichen, dass diese Analyse „möglicherweise die einzige nicht regierungsfinanzierte wissenschaftliche Untersuchung sei, die eine Abschätzung der Zahl irakischer Todesfälle seit der US-Invasion liefere“.

Für 92 Prozent der registrierten Todesfälle seien Sterbeurkunden ausgestellt worden, schreiben die Wissenschaftler. Demnach waren 55 Prozent der zusätzlichen Todesfälle gewaltsam. 31 Prozent der registrierten Toten aus der Zeit nach der Invasion seien erschossen worden, jeweils 7 Prozent kamen durch Luftangriffe und Autobomben ums Leben und 8 Prozent durch andere Explosionen. Dabei unterscheidet die Studie nicht, ob es sich bei den Toten um Zivilisten oder Soldaten handelt.

ADRIENNE WOLTERSDORF