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Archiv-Artikel

Der Überfall war nur ein Einfall

Den rassistischen Überfall auf einen Italiener im vergangenen Mai hat es nie gegeben. Zu diesem Urteil kam gestern die Richterin. Für das Vortäuschen einer Straftat bekam der 30-Jährige sechs Monate Haftstrafe auf Bewährung

Der Italiener, der im Mai laut eigener Aussage Opfer eines Nazi-Überfalls wurde, wurde gestern wegen Vortäuschung einer Straftat zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss er 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Die Richterin am Amtsgericht Tiergarten folgte in ihren Ausführungen der Argumentation des Staatsanwaltes, der auf erhebliche Widersprüche bezüglich des angegebenen Tathergangs verwies. Der Überfall könne so, wie vom Verurteilten geschildert, nicht stattgefunden haben. Seine Verletzungen an Kopf und Knie seien ihm nicht, wie er immer behauptete, von rechten Schlägern zugefügt worden, sondern rührten weitestgehend von seinem Sturz auf das Gleisbett im S-Bahnhof Alexanderplatz her.

Der Fall kurz vor Beginn der Fußball-WM hatte nicht nur in Berlin, sondern international Schlagzeilen gemacht. Angeblich war der 30-Jährige in der Nacht zum 14. Mai gegen 1 Uhr auf der Eberswalder Straße von „drei Glatzen in Bomberjacken“ um eine Zigarette angebettelt, dann als „Scheißausländer“ beschimpft und geschlagen worden. Unklar allerdings blieb, was genau in den nächsten Stunden passierte.

Laut Auswertung von Videokameras stürzte der gelernte Konditor, der zu diesem Zeitpunkt unter erheblichem Alkoholeinfluss stand, um 4.22 Uhr auf das Gleisbett der S-Bahn. Er habe die Abkürzung zum anderen Bahnsteig nehmen wollen, wo sein Bruder wartete. Dem medizinischen Gutachter zufolge legt die Kameraaufzeichnung nahe, dass er sich erst bei dem Sturz das Knie verletzte. Ob es bereits vorher lädiert war, lässt sich aber nicht eindeutig ausschließen. Die Wunde am Kopf war schon ein paar Stunden alt.

Trotz der Videobilder beharrte der 30-Jährige auf seiner Version des Ablauf, modifizierte sie allerdings um eine Odyssee durch die Stadt Er habe unter Schock gestanden und sei deshalb nicht sofort zur Polizei gegangen.

Der Staatsanwalt folgte seinen Ausführungen nicht. Auch nicht jenen der Entlastungszeugen – eines Arbeitskollegen und eines Imbissbesitzers am Ostbahnhof. Beide bestätigten, dass der Verurteilte vor 4 Uhr bereits verletzt gewesen sei. Vielmehr warf der Staatsanwalt dem Italiener vor, durch die Erfindung der Tat einen nicht unerheblichen Ermittlungsaufwand ausgelöst zu haben. Der Italiener habe sich in dem Lügengebäude verrannt, die Geschichte sei ihm über den Kopf gewachsen. Die Polizei, die Medien, Kameras am Krankenbett – „man kommt aus der Nummer nicht mehr raus“, so der Staatsanwalt. Stattdessen baue man sie durch immer neue Erfindungen aus. Er forderte ein Jahr Haft auf Bewährung.

Die Verteidigung argumentierte dagegen, dass die Beweisaufnahme nicht zweifelsfrei ausschließen konnte, dass die Verletzungen vorab zugefügt wurden, und plädierte deshalb auf Freispruch. Dem folgte die Richterin bei der Urteilsfindung nicht. Sie wählte beim Strafmaß einen Mittelweg – sechs Monate auf Bewährung. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgelegt. Dennoch ist die Strafe hart, verglichen mit Urteilen, mit denen rechte Schläger lange Zeit nur rechnen mussten.

WALTRAUD SCHWAB