piwik no script img

Archiv-Artikel

Muss man Angst vor dem Designerbaby haben?JA

MEDIZIN Spätestens im Januar will die Bundesregierung Gentests an Embryonen im Reagenzglas neu regeln. Der Streit, ob Präimplantationsdiagnostik verboten werden soll, geht durch alle Parteien

nächste frage

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante LeserInnenantwort aus und drucken sie in der nächsten sonntaz.

taz.de/sonntazstreit

Hubert Hüppe, 54, ist Beauftragter der Regierung für die Belange behinderter Menschen

Bei künstlicher Befruchtung nach Präimplantationsdiagnostik geht es nicht darum, ob jemand Kinder bekommt, sondern um die Qualität der Kinder. Menschliche Embryonen werden nach lebenswert und lebensunwert sortiert und nach unerwünschter Diagnose getötet. Wer PID eingrenzen will, muss sagen, wen er ausgrenzen will. Bei 80 Prozent der Paare wird das Leid mit PID größer. Denn überhaupt nur jede fünfte Frau bekommt nach PID ein Kind. Die Hauptinteressen liegen bei Repro-Medizinern, die ein Geschäft wittern, und bei Forschern, die menschliches Material für ihre Forschung wollen. PID diskriminiert Menschen mit Behinderungen und leistet Entwicklungen Vorschub, die keiner wollen kann. Wann wird von vermeintlichen Risikoträgern erwartet, PID zu nutzen? Obwohl nur 3 Prozent aller Behinderungen vorgeburtlich vorhanden sind, würde die Verhinderbarkeit von Behinderung im Mittelpunkt stehen.

Michael Wunder, 58, ist Psychologe und Mitglied des Deutschen Ethikrats

Bei der PID geht es darum, Embryonen nach genetischer Erwünschtheit auszuwählen oder wegzuwerfen. Dabei trägt jeder den Bauplan eines Individuums in sich – und damit Menschenwürde. Vom Zellhaufen zu reden, ist zu einfach. Wer sagt, er wolle PID nur für Fälle schwerer genetischer Erkrankung, muss erklären, was er Eltern mit leichteren Erkrankungen sagt. Wo PID erlaubt ist, weitet sich ihr Anwendungsbereich aus: von der Wegwahl genetisch auffälliger zur Auswahl erwünschter Embryonen. Die einzige Kompromisslinie könnte ein lizenziertes Zentrum sein, kontrolliert von einer Ethikkommission, wo PID nur in Ausnahmefällen angewendet werden darf. Und gleichzeitig ein prinzipielles PID-Verbot und keine Anwendung in den 120 Zentren der Reproduktionsmedizin.

Jörg Schäfer, 48, ist Sozialpädagoge und hat das Thema auf taz.de kommentiert

Als Mensch mit Behinderung macht mir die Diskussion Angst. Warum muss „Leid“ verhindert werden? Wessen Leiden muss denn da verhindert werden? Und gibt es ein Recht auf ein gesundes Kind? Sicher muss es das Recht auf Abtreibung geben – aber: Hat nicht auch der Fötus, als werdender Mensch, ein Recht auf Leben? Meine Mutter, die mich sehr liebt, sagte einmal: „Hätte ich gewusst, dass du behindert bist, hätte ich dich abgetrieben.“ Wir sind froh, dass es anders gekommen ist. Denn gegenseitig bereichern wir unser Leben in dieser Gesellschaft durch eine nicht gewünschte, aber wertvolle Erfahrung des bunten, nicht vorhersehbaren Lebens.

Andreas Eschbach, 51, ist ein erfolgreicher deutscher Sciencefiction-Autor

Man muss eher Angst um das Designerbaby haben als Angst vor ihm. Denn die Tatsache, dass man sich ein Designerbaby erstellt, zeugt schon von der ultimativen Erwartungshaltung der Eltern an das Kind. Kinder leiden ja schon bisher darunter, dass ihre Eltern zu viel von ihnen wollen. Von den Folgen dieses Erfolgsdrucks lebt heute die Branche der Psychoanalytiker, die das wieder ausbügeln sollen. Und jetzt kommt das Designerbaby, genau auf die Erwartungen der Eltern zugeschnitten: Das muss quasi einen Knall haben.

NEIN

Thomas Katzorke, 62, gründete die erste Praxis für Reproduktionsmedizin in Deutschland

Präimplantationsdiagnostik ist eine Art Gencheck an einer befruchteten Eizelle, bevor sie sich in der Gebärmutter einnistet. Wobei der Laie denkt, das Gebilde, dass wir Embryo nennen, könne perfekt untersucht werden. Das ist aber technisch nicht möglich. Man kann die häufigsten Erkrankungen diagnostizieren, etwa 200, mehr nicht. Vielleicht wird man in ein paar Jahren mehr Krankheiten diagnostizieren können, vielleicht sogar die Haarfarbe, aber so etwas wie das Musikergen oder Ähnliches wird man nie finden. Und die Methode ist technisch zu aufwendig und zu teuer, um sich großflächig durchzusetzen. Aber wir dürfen Eltern nicht vom Fortschritt abkoppeln. Wenn es auffällig viele Fälle von Brustkrebs in der Famlie gibt, sollte die Familie diesen Gendefekt ausschalten können. Da wäre die PID besser, als prophylaktisch, wie das einige machen, beide Brüste abzutrennen. Wir brauchen eine einheitliche Gesetzgebung. Schon jetzt gibt es PID-Tourismus in andere EU-Länder, deswegen sollte es in Deutschland unter Aufsicht der Ethikkommission erlaubt sein. Die Gesetze müssen dem wissenschaftlichen Fortschritt angepasst werden. Wir brauchen in Deutschland eine extra Behörde für die Fortpflanzungsmedizin, wie es sie in Großbritannien gibt.

Sonja Werner, 29, ist Kauffrau und bekam nach Präimplantationsdiagnostik ein Kind

Ich und mein Mann haben uns ein Kind gewünscht und es auch auf normalem Wege versucht, aber ich hatte zwei Fehlgeburten. Bei mir wurde dann ein Gendefekt festgestellt. Er kann dazu führen, dass das Kind während der Schwangerschaft stirbt, so wie es zweimal passiert war, oder dass es schwerstbehindert auf die Welt kommt mit einer Lebenserwartung von vielleicht einem Jahr. Man kann nicht vorhersagen, wann er auftritt und und wann nicht. Das war erst einmal ein Schock. Aber der Kinderwunsch war einfach da, wie ein Stimmchen im Hintergrund: Nicht aufgeben, es klappt. Nach einer anderen Methode mit künstlicher Befruchtung hatte ich noch eine Fehlgeburt, weil der Gendefekt am Embryo nicht zweifelsfrei diagnostiziert werden konnte. Dann hieß es: Es gibt da noch die Präimplantationsdiagnostik. Das hat geklappt – und jetzt ist meine Tochter vier Jahre alt. Ich finde, dass die Methode ganz klar erlaubt werden sollte. Einige der Argumente, die bisher in der Debatte genannt werden, sind für mich absurd. Man darf einen Embyro bis zur zwölften Woche abtreiben, bei einer Behinderung sogar noch später. Aber man soll ihn nicht untersuchen dürfen, bevor er eingeplanzt wird. Niemand redet darüber, was eine Fehlgeburt für eine Familie bedeutet – der Test ist positiv, man ist total glücklich und dann sitzt man irgendwann im Krankenhaus beim Arzt und er sagt: Fehlgeburt, Pech gehabt. Von ganz oben nach ganz unten. Das ist es, wovor man Angst hat.

Ulrike Flach, 59, ist gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion

Zur Angst besteht kein Grund. Auch Befürworter einer Zulassung der PID wollen keine Designerbabys mit Wahl der Haar- und Augenfarbe. Die Verwerfung eines Embryos ist nur zur rechtfertigen bei schweren Krankheiten, die das Leben des Kindes oder der Mutter gefährden oder es zu einer untragbaren Belastung machen. Deshalb muss es strenge Regeln geben, wann eine PID erlaubt wird. Aber eine Abtreibung nach der – gesetzlich zulässigen – Pränataldiagnostik belastet eine Frau körperlich und seelisch mehr als ein Verwerfen eines genetisch belasteten Embryos in der Petrischale.