: „Viele Frauen sind eingeschüchtert“
Die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz fordert muslimische Frauen auf, das Kopftuch abzunehmen. Ein großer Teil von ihnen traue sich nicht, ihr öffentlich zuzustimmen, meint sie jetzt. Protest komme interessanterweise vor allem von Männern
INTERVIEW HEIDE OESTREICH
taz: Frau Deligöz, Sie haben Musliminnen aufgefordert, das Kopftuch abzulegen. Warum mischen Sie sich in anderer Leute Kleidungsstil ein?
Ekin Deligöz: Ich rede nicht über Kleidung, sondern über ein politisches Symbol. Das Kopftuch ist ein Symbol der entrechteten Frau. Das will ich nicht verbieten, sondern ich will mich politisch zu diesem Symbol äußern.
Die Trägerinnen selbst sehen das Kopftuch oft anders. Darf die „Senderin“ des Symbols gar nicht mehr mitreden?
Die, die sich öffentlich äußern, verstehen das Tuch vielleicht anders. Dagegen kenne ich viele Frauen mit Kopftüchern, die mir Recht geben. Nur sie selbst hätten nicht den Mut, das auszudrücken. Sie sind eingeschüchtert. Ich möchte für einen europäischen aufgeklärten Islam stehen und nicht gleich als Verräterin beschimpft werden.
Und zum aufgeklärten Islam passt kein Kopftuch? Ist das Religionsfreiheit?
Man kann den Islam von heute nicht mit einer aufgeklärten Religion vergleichen. Wir reden hier von einem Pulverfass, das merke ich an den Reaktionen auf meinen simplen Appell. Ich werde beschimpft und bedroht. Vor allem von Männern.
Sie fordern: „Kommt in Deutschland an.“ Heißt das, Frauen mit Kopftuch sind nicht angekommen?
Ein großer Teil ist es nicht. Ich bin viel in Moscheen und Vereinen unterwegs. Die Leute leben in den Gedanken in der Türkei. Sie verstehen nicht, wie wichtig es für ihre Kinder ist, hier eine Perspektive zu entwickeln.
Was hat das mit dem Kopftuch zu tun? Gehören deutsche Konvertitinnen mit Tuch auch nicht hierhin?
Aber man kann nicht verhehlen, dass das Kopftuch ein politisches Symbol auch in dieser Gesellschaft ist. Es wird politisch und gesellschaftlich instrumentalisiert. Mädchen, die das Tuch vorher noch vehement abgelehnt haben, tragen es plötzlich. Manche machen sicherlich eine Art Mode mit. Aber es gibt auch die anderen. Die von der Anwältin Seyran Ates vertreten werden, zum Beispiel. Oder die in Frauenhäusern landen. Das sind die, die die Masse nicht sieht.
Die Frauen, die Frau Ates vertritt und die in Frauenhäusern sitzen, tragen nicht immer ein Kopftuch.
Das stimmt. Ich streite aber gegen ein Symbol an und gegen das, was es symbolisiert. Ich kämpfe für Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat Kopftuchträgerinnen befragt: 90 Prozent sagten, das Kopftuch vermittle ihnen Selbstbewusstsein. Für 80 Prozent war Unabhängigkeit ein sehr hoher Wert.
Das ist doch schön. Ich muss mich ja nicht für die einsetzen, die stark sind. Sondern für die, die sich nicht so wohl unter ihrem Kopftuch fühlen.
Wenn sich herausstellt, dass die Kopftuchträgerinnen nicht die Unterdrückten sind, sollte man eher eine Kampagne gegen die Unterdrückung machen als gegen das Kopftuch, oder?
Aber warum fühlen sich denn so viele Männer angegriffen, wenn ich so etwas sage? 90 Prozent der Protestmails, die mich jetzt erreichen, sind von türkischen Männern. Das zeigt doch, dass ich durchaus die richtigen treffe. Das sind nämlich die Männer, die ihre Privilegien im Patriarchat verteidigen.
Warum appellieren Sie dann nicht direkt an die Männer?
Das tue ich auch. Ich habe ja in meinem Leben nicht nur diesen einen Appell vertreten. Aber die Frauen müssen auch ihren Beitrag leisten. Es geht schließlich um ihre Rechte und die Perspektiven ihrer Kinder.