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Archiv-Artikel

Kritik an Rechtsauslegung der Bundesregierung

LÖHNE Die Ablehnung des Mindestlohns in der Weiterbildung sei rechtlich falsch, sagen die Grünen

„Die Regierung versteckt sich hinter der Repräsentativität“

BEATE MÜLLER-GEMMEKE, GRÜNE

BERLIN taz | Die Bundesregierung hat nach Ansicht der Grünen ihre Ablehnung des Mindestlohns in der Weiterbildungsbranche auf falsche rechtliche Begründungen gestützt. „Dem Arbeitnehmerentsendegesetz liegt eine andere Intention zu Grunde als die, die jetzt von der Bundesregierung als Begründung ausgelegt wird“, kritisierte Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der grünen Bundestagsfraktion.

Anfang Oktober hatte das Bundesarbeitsministerium (BMAS) eine verbindliche Lohnuntergrenze für die Weiterbildungsbranche abgelehnt. Es geht dabei um Weiterbildung für Arbeitslose nach dem zweiten und dritten Sozialgesetzbuch.

Den Antrag auf eine Lohnuntergrenze hatten die Gewerkschaften Ver.di und GEW sowie der Arbeitgeberverband Bundesverband Berufliche Bildung gestellt. Sie wollten, dass ihr Tarifvertrag, der für pädagogische Kräfte im Osten 10,53 Euro und im Westen 12,28 Euro festschreibt, für allgemeinverbindlich erklärt wird. Da die Weiterbildungsbranche bereits im Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) steht, hätte ein Erlass des BMAS zur Folge gehabt, dass der Mindestlohn branchenweit an rund 25.000 Lehrkräfte hätte gezahlt werden müssen.

Das BMAS begründet seine Ablehnung mit einem Mangel an öffentlichem Interesse – und verquickt dieses Interesse mit dem Kriterium der Repräsentativität, das heißt der Frage, wie viele Arbeitnehmer von den antragstellenden Tarifvertragsparteien organisiert sind. „Damit ein öffentliches Interesse am Erlass besteht, muss der zu erstreckende Tarifvertrag ein Mindestmaß an Repräsentativität aufweisen“, schreibt das BMAS. Auch in einer Antwort auf eine bislang unveröffentlichte kleine Anfrage der Grünen, die der taz vorliegt, verweist die Regierung mehrfach auf diesen Zusammenhang.

Doch genau der sei falsch, sagt Müller-Gemmeke. Fakt ist: Richtet man sich nach dem AEntG, dürfte die Repräsentativität, die in diesem Fall nach Ansicht des BMAS bei rund 25 Prozent liegt, keine Rolle spielen. Sondern nur das „öffentliche Interesse“. Erst wenn in einer Branche mehrere Tarifverträge angewendet werden, habe „der Verordnungsgeber ergänzend die Repräsentativität der jeweiligen Tarifverträge zu berücksichtigen“, steht im AEntG. Doch mehrere Branchentarifverträge existieren in der Weiterbildung nicht.

Gegen Lohndrückerei vorzugehen, kann im öffentlichen Interesse liegen, sagt Karlsruhe

„Die Regierung versteckt sich hinter der Frage der Repräsentativität, statt sich mit der Definition öffentliches Interesse auseinanderzusetzen“, kritisiert Müller-Gemmeke. Ansätze dafür gebe es: So werden im AEntG „angemessene Mindestarbeitsbedingungen“ sowie „faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen“ als Ziele definiert. Und das Bundesverfassungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, dass es im öffentlichen Interesse liegen könne, Tarifunterbietung oder Lohndrückerei zu verhindern.

Lohndrückerei liege jedoch vor, beklagen Grüne und Gewerkschaften. So erhielten immer mehr akademisch ausgebildete Lehrkräfte für eine Vollzeitstelle nur noch zwischen 1.200 und 1.700 Euro. Der Verweis auf die Repräsentativität führe zudem zu einem falschen Zirkelschluss, kritisiert Müller-Gemmeke: „Schließlich steigen immer mehr Arbeitgeber aus der Tarifbindung aus.“ EVA VÖLPEL