: Hauptschule verliert letzte Fans
Kleine Kultusrevolution in Bayern: CSU-Experten wollen Hauptschule in jetziger Form abschaffen. Minister findet Analyse richtig, sträubt sich aber noch vor Konsequenzen
MÜNCHEN taz ■ Das ist der Anfang vom Ende der Hauptschule. Die allmächtige CSU-Landtagsfraktion in Bayern denkt über die Auflösung der Hauptschule in ihrer jetzigen Form nach. Sie soll in Sekundarschule umbenannt und an wenigen Standorten konzentriert werden, um dem dramatischen Schülerschwund von etwa einem Drittel ihrer Schüler entgegenzuwirken. „Die derzeitige Hauptschule ist eine von der Bevölkerung nicht mehr akzeptierte Schulform“, heißt es in einem internen Papier einer CSU-Arbeitsgruppe. Bisher hatte die bayerische Hauptschule als die beste in Deutschland gegolten.
Das Papier, das der taz vorliegt, fordert eine völlige Umgestaltung der Hauptschule, weil ihr schlichtweg die Schüler ausgehen. Viele der 1.050 weiß-blauen Hauptschulen sind akut in ihrem Bestand gefährdet.
Derzeit besuchen noch 40 Prozent der bayerischen Schüler diese Schulart. Das sorgte bisher für eine relativ leistungsfähige Schülerschaft, die Bayern im innerdeutschen Vergleich sehr gute Pisa-Ergebnisse bescherte. In den anderen Bundesländern besuchen nur noch 10 bis 20 Prozent die Hauptschule – mit katastrophalen sozialen und pädagogischen Auswirkungen. Nach einer Analyse des Berliner Max-Planck-Instituts gelten 16 Prozent der deutschen Hauptschulen als „kritische Schulmilieus“, in denen Lehrer nichts mehr bewirken könnten.
Nun aber schrumpft auch in Bayern die Schülerzahl an Hauptschulen drastisch. Die CSU-Schulexperten befürchten ein Minus von über 80.000 der heute 280.000 Schüler. „Wenn sie auf Jahrgangsanteile von 20 Prozent runtergehen“, sagte ein Mitarbeiter der CSU-Arbeitsgruppe der taz, „wird es schwierig. Wenn ich die Besten rausziehe, kriege ich Restschulen, dann funktioniert das nicht mehr.“ Das sind völlig neue Töne aus Bayern, das sich immer als Bollwerk der Hauptschule aufführte. Bisher wurde Kritik an der untersten Schulform dort als eine Art Gotteslästerung angesehen.
Bayerns Schulminister Siegfried Schneider (CSU), der das Papier erst im November der Öffentlichkeit kundtun wollte, bestätigte gestern dessen Existenz. Er teile die Analyse, sagte er der taz. In dem Papier steht, dass es nicht mehr reiche, nur kleine Schritte der Anpassung zu erfinden. Die Einführung der sechsjährigen Realschule habe der Hauptschule das Wasser abgegraben, daher sei nun eine große Lösung nötig. Schneider sträubt sich aber noch vor der logischen Konsequenz – dem Hinzufügen der Realschule zur neuen Sekundarschule, wie die gemeinsame Schulform in anderen Ländern schon heißt. Die Zusammenführung der beiden Schulformen gehe deutlich zu weit, sagte Schneider der taz – und stufte das Papier gestern flugs zu einer „nicht beschlossenen Diskussionsgrundlage“ herab.
Der Geist ist aber aus der Flasche. Der Bayerische Lehrerverband BLLV begrüßte grundlegende Umgestaltungen und ermunterte den Minister, weiter zu gehen. „Der Versuch einer nur inneren Reform der Hauptschulen würde nicht das Problem lösen, dass sie zu einer Schule der Aussortierten gehört“, sagte BLLV-Berufswissenschaftler Fritz Schäffer. Auch Grüne und SPD forderten weitere Schritte, sonst drohten gravierende Konsequenzen. Die CSU werde zum Totengräber der Schulen auf dem Land, sagte die grüne Bildungspolitikerin Simone Tolle zur Ankündigung der Regierung, Hauptschulen in der Region zu schließen.
Die SPD ging noch weiter und versuchte Schneider in den Landtag zu zitieren. Lehrer, Schüler und Eltern seien völlig verunsichert. Die CSU lehnte den Vorstoß begreiflicherweise ab. Denn sie weiß ja selbst, so ihre Expertengruppe, dass es nicht hilft, „wenn man unflexibel an alten Hauptschulvorstellungen festhält.“ CHRISTIAN FÜLLER