: Pimp mein Buch
Drogendealer, Stripclubs, Zuhälter: Davon erzählen die Urban Novels des New Yorker Autors Relentless Aaron. Der ehemalige Gefängnisinsasse ist der Anführer der afroamerikanischen Literaturszene, die derzeit zum Sprung in den Mainstream ansetzt
VON KRISTINA GRAAFF
„Relentless Aaron, Vater der Urban Fiction“ ist in Großbuchstaben quer über den Wagen gedruckt, darunter ein überdimensionales Foto des Autors in dynamischer Zeigegeste. Der Van steht in zweiter Reihe vor dem Hue-Man-Buchladen in Harlem – bis unter die Decke ist hier das landesweit größte Sortiment afroamerikanischer Literatur gestapelt. Dewitt Gilmore, der unter dem Künstlernamen Relentless Aaron publiziert, stellt heute Abend sein neues Buch vor. Schon das Pseudonym ist Marketing: Relentless, also unbarmherzig, will Gilmore sein, und entsprechend hartgesotten ist auch sein neuester Roman. „Extra Marital Affairs“ erzählt die Geschichte von Adena und Mason, die es mit ihren ausgefallenen Sexpraktiken übertreiben, bis ein Mord geschieht, der das Paar wieder zurück in die Straßenszene wirft, aus der sie sich gerade hochgearbeitet hatten.
Schon lange vor Beginn der Lesung sind alle Plätze belegt. Kein Genre wird in der afroamerikanischen Literaturszene derzeit so intensiv diskutiert wie die Urban Novel. Die Romane, die das Leben im amerikanischen Großstadtgetto als unterhaltsame Mischung aus Gewalt, Drogen und Sex schildern, erreichen sechsstellige Auflagenzahlen. Klangvolle Titel wie „The Coldest Winter Ever“ von Sister Souljah, „Deadly Reigns“ von Teri Woods und Roy Glenns „Crime of Passion“ sind mittlerweile in jeder amerikanischen Großbuchhandlung zu finden. Das erregt Aufsehen, weil eine ganz neue Autorenschaft in den Mainstream aufrückt, die den Großteil ihres Lebens auf der Straße oder im Gefängnis verbracht hat.
Dabei ist die Urban Novel an sich nichts Neues. Bereits 1969 hat Iceberg Slim in „Pimp“ einprägsam von den Schattenseiten Harlems berichtet. Aber erst die radikalen Vermarktungsstrategien der Autoren haben die Romane über die letzten Jahre als Genre etabliert.
Clara Villarosa, Besitzerin des Hue-Man-Buchladens, kann dem Hype nichts abgewinnen. Für sie haben die oft nicht einmal lektorierten Erzählungen mit ihren durchsichtigen Plots und Figuren nichts mit Literatur zu tun. Dennoch muss sie eingestehen, dass die Urban Novel derzeit ihre Haupteinnahmequelle ist.
Relentless Aaron, der sich selbst als „Marketingmaschine“ bezeichnet, trägt gern zu noch höheren Verkaufszahlen bei. Begleitet von Kameras und umringt von halbwüchsigen Assistentinnen, liest er aus seiner Neuerscheinung, im ausgeprägten Slang, der jedem hier in Harlem vertraut ist und an verschriftlichten Hiphop erinnert: „What the fuck! Wie konnte das passieren, Mason? Ist ihr die Erregung zu Kopf gestiegen? Was für eine Frage! Du hast sie erwürgt, Jesus Christ. Du hast sie umgebracht, Punk! Jetzt wirst du mit deiner Sexsucht in den Knast wandern.“ Relentless weiß, was ihm die notwendige Street Credibility bei den Lesern verleiht: harsche Sprache, eine eindeutige Moral und detaillierte Orts- und Figurenbeschreibungen, die beweisen, wie sehr er mit dem Getto und dessen Leuten vertraut ist.
Er feiert sich gern als Anführer der Szene. Sieben Jahre hat er wegen Betrugs und Erpressung eingesessen und das Gefängnis als Schreibstube benutzt: „Ich war gelangweilt und wollte meine Kreativität endlich sinnvoll nutzen. Also habe ich angefangen zu schreiben, bis zu 18 Stunden täglich.“ Seine neu entdeckte Arbeitsdisziplin zahlt sich aus. Zwei Wochen pro Roman benötigt er in seinen effektivsten Schreibphasen. Als er im Jahr 2003 entlassen wird, geht Relentless mit 30 Manuskripten unter dem Arm in die Freiheit. Sämtliche Nischen der Straßenszene hat er in seinen Werken abgedeckt: „Push“ erzählt vom ehemaligen Drogendealer, der nach 15-jähriger Haftstrafe mit Rachegelüsten kämpft. „Topless“ spiegelt Relentless’ Jugenderlebnisse im Stripclub seines Vaters, und „Platinum Dolls“ ist die Geschichte eines jungschen Zuhälters, dessen Business zu bröckeln beginnt, als plötzlich eine Prostituierte nach der anderen ermordet wird. Aber kein Verlag interessiert sich für seine Geschichten vom Rand der Gesellschaft. Also beschließt Relentless, seine Bücher selbstständig zu vertreiben – auf der Straße, dessen Netzwerk ihm noch aus früheren Zeiten bestens bekannt ist.
Zunächst druckt er 50 Exemplare seines ersten Harlem-Romans „Push“ und bringt sie der Leserschaft sozusagen vor die Haustür: „Mit meinem Klapptisch habe ich mich ins Mekka der Urban Novel, auf die 125. Straße in Harlem gestellt und innerhalb eines Tages alle Exemplare verkauft, für 10 Dollar das Stück.“ Nachdem er auch die nächsten 300 Bücher in weniger als einer Woche vertreibt, lässt Relentless 20.000 Stück drucken. Wie es der amerikanische Traum will, wird schließlich doch ein Verlagshaus auf ihn aufmerksam. Eine Lektorin von St. Martin’s Press hat seinen gut laufenden Straßenverkaufsstand beobachtet. Geschäftsversiert handelt Relentless einen sechsstelligen Vertrag für vier seiner Romane aus. Mit dem Erlös hat er mittlerweile seinen eigenen Verlag gegründet, Relentless Content.
Ohne Zweifel ist Relentless Aaron im Mainstream angekommen. Sogar die New York Times hat ihm dieses Jahr eine zweiseitige Reportage gewidmet, was er als besonderen Erfolg wertet: „Schwarze bekommen normalerweise nicht so viel Aufmerksamkeit, so einen langen Artikel kannst du sonst nur über uns lesen, wenn es schlechte Nachrichten sind.“
Da es nicht lange braucht, um die unterhaltsamen Gettogeschichten zu verdauen, wartet seine Leserschaft ungeduldig auf neues Material. Vor allem Gefängnisinsassen lesen seine Bücher, reichen sie untereinander weiter und lassen über ihre Angehörigen Nachschub besorgen. Relentless bedient auch diesen Käufermarkt direkt. Auf der mehrstündigen Busreise in eines der New Yorker Staatsgefängnisse quetscht er sich mit Bücherkiste von Reihe zu Reihe, um die Häftlingsangehörigen mit Mitbringseln zu versorgen. Wer nicht genug Cash dabei hat, kann auch mit Kreditkarte zahlen – Relentless lässt sich kein Geschäft entgehen, niemals.
Als Nächstes plant er, seine Erzählungen für den lateinamerikanischen und asiatischen Markt umzuschreiben. Er hat keine Zweifel, dass die Adaptation Erfolg haben wird, sein Selbstbewusstsein ist spätestens seit dem hoch dotierten Verlagsdeal unerschütterlich.
Ob sein Konzept aufgeht, kann er gleich vor Ort testen. In Chinatown und Spanish Harlem wird sich schon eine freie Straßenecke finden.