Die Verklärung der Mechanik

Chronik eines sich ankündigenden Muttermords: Im Berliner Martin-Gropius-Bau gastiert die vier Jahrzehnte umfassende Rebecca-Horn-Werkschau. Die Ausstellung zeigt einen starken Anfang und einen zunehmend unentschlossenen Fortgang

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Die noch ganz junge Künstlerin am Anfang: dieses Bild ist unbedingt notwendig. Ohne es würde der großen Werkschau von Rebecca Horn das lebendige Herz fehlen. Die Erzählung der Ausstellung braucht den Bogen zurück zu dem Moment, als die junge Frau die Welt der Kunst mit Objekten, Performances und Filmen betrat und neue Verknüpfungen zwischen den Genres eröffnete.

Die mit Bleistiften wie mit gefährlichen Stacheln gespickte „Bleistiftmaske“(von 1972), mit der sie schabend, kratzend und mit dem Kopf pendelnd wie ein Autist schwarze Linienbündel aufs Papier zeichnete, gehört dazu und die Instrumente der Körperausdehnung: „Einhorn“ (1970), „Körperfächer“ (1972) und „Handschuhfinger“ (1972). Sie liegen in den Vitrinen der ersten Ausstellungsräume im Berliner Martin-Gropius-Bau und führen zurück in die Zeit der ersten einsamen Performances, die ohne Publikum irgendwo in der Landschaft stattfanden und dann erst im Filmbild und als Foto in die Kunsträume wanderten.

Dass der weibliche Körper, den man dort so merkwürdig zugerichtet, verschnürt, gefesselt und behindert einerseits, in der Ausrichtung der Sinne andererseits aber überwach und geschärft sah, dann dort fehlte, wo die Instrumente nachträglich zur Skulptur wurden, machte ihre Qualität aus: Nicht zu zeigen, worauf sie verwiesen, und mit einer Leerstelle zu arbeiten, in die hinein der Betrachter die Imagination seiner eigenen sinnlichen Wahrnehmung fließen zu lassen lernte. Er sah ja nie das Eigentliche, sondern nur die Zurüstungen dafür und die Spuren davon, und gerade das forderte seinen aktiven Geist heraus.

Diese Leerstelle hat sich in vielen späteren Werken von Rebecca Horn immer mehr geschlossen. Nicht mehr die Erfahrung, das Ansprechen der unterschiedlichen Sinne steht im Vordergrund, sondern die Bedeutung. Je mehr die Dinge aber zu Symbolen wurden, desto eher verloren sie den Kontakt zur Wahrnehmung des Körpers. Es ist oft nur noch der sprunghafte und nicht vorhersehbare Duktus der Bewegung in vielen ihrer von Elektromotoren getriebenen Installationen und Skulpturen, der das performative Element, die Einbeziehung von Raum und Zeit, aufnimmt und fortspinnt. Weil die Nachahmung des Lebendigen allerdings auf eine mechanische Art und Weise geschieht, wird es für den Betrachter überflüssig, sich selbst an diese Stelle zu denken.

Zweifellos ist die Kunst von Rebecca Horn, das zeigt die Schau der „Zeichnungen, Skulpturen, Installationen, Filme 1964–2006“, die vor zwei Jahren in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf startete und jetzt nach London und Lissabon in Berlin in erweiterter Form gelandet ist, attraktiv und unterhaltsam geblieben. Das Poetische und das Mechanische gehen in vielen der Kunstmaschinen spielerische Verbindungen ein, die auch gerade da, wo sie das Schöpferische der Kunst wie in den Farbschleudermaschinen „Salomé“ (1988) und „Les Amants“ (1991) zu ironisieren scheinen, nie die Lust am Narrativen und an einer zärtlichen Zugewandtheit zu jeder Form von Entstehungsprozess verlieren.

In „Salomé“ schleudert ein dürres Pinselärmchen, beinahe rührend in der Nacktheit seiner mechanischen Glieder, Farbe an Wand und Decke und lässt sie über Eier und einen Stapel alter Bücher kleckern, die, nimmt man sie als Chiffre des Ursprungs und des Gedächtnisspeichers, so immer wieder mit Gegenwart übermalt werden. Die Maschine arbeitet mechanisch, der Gestus der Farbspritzer aber, die so in jeder Ausstellung ein neues Wandbild entstehen lassen, ist der einer spontanen, aus Energie, Konzentration und Entäußerung geborenen Malerei. Dass gerade das, was der Geniekult so gerne zur Einmaligkeit des Subjekts verklärt, durch einen kleinen Elektromotor und einige Spritzdüsen ersetzt werden kann, ist einerseits kritischer Kommentar zur Kunst und andererseits tatsächlich der Versuch, nichts erstarren zu lassen und alles flüssig zu halten. Immer weiter könnten diese Maschinchen dem Wandbild neue Farbe zuschleudern und an dieser Nichtvollendbarkeit hängen die Werke wie am Puls des Lebendigen.

Nur zu deutlich lässt sich aber in der Ausstellung verfolgen, wie sich das Poetische und Mechanische ins Esoterische, Bombastische und Pathetische auswächst. Es fehlt an Spannung zwischen den Räumen und den sie besetzenden Werken: Wo die Räume groß sind, versucht auch die Kunst groß zu sein und scheitert. Die ausgedehnte Installation „Twilight Transit“ (2005) aus Totenschädeln, Spiegeln, Licht und Schatten wälzt einen Gedanken aus, der seine Wirkung aber besser als flüchtige und nicht zu fassende Andeutung entfalten könnte. „Licht gefangen im Bauch des Wals“ (2002) heißt ein dunkler Saal, der die Zeilen eines Gedichts über die Wände und spiegelndes Wasser gleiten lässt: „Zitternd ordnen sich Worte neu, / den Mond um Orientierung fragend, / in der Kuppel des Wortgeflechts.“ Der Vorgang des Wahrnehmens und Denkens wird in einem nach und nach lesbaren Gedicht Teil einer rätselhaften und dunklen Geschichte um Ursprung und Entstehung, einem Sprung zurück ins Gären der Ursuppe.

Rebecca Horn, die seit 1989 Professorin an der Universität der Künste in Berlin ist, war in den siebziger und achtziger Jahren eine Figur der Ermutigung vor allem auch für junge Künstlerinnen: Durch ihren Bezug auf den Körper, durch den Wechsel und die Verbindung zwischen den Genres Film und Bildhauerei, nicht zuletzt durch die Geschichte ihres Erfolgs. Den Versuch, ihre Werke als feministisches Statement zu lesen, zum Beispiel weil sie den weiblichen Körper und seine Verletzbarkeit zu einer Zeit sichtbar machte, als dies für andere Künstlerinnen schon eine politische Aussage war, wies Rebecca Horn selbst zwar oft zurück. Aber nicht zuletzt, weil solche Lesarten möglich waren, waren ihre Werke auch in vielen männlich dominierten Sammlungen begehrt als Beleg für die Aufgeschlossenheit gegenüber Künstlerinnen. Das macht die Enttäuschung umso größer, wenn nun viele im Lauf der Jahre merklich verkitschten.

Dass die Begeisterung für Rebecca Horn nachlässt, liegt sicher auch daran, dass spätere Künstler auf vergleichbaren Wegen inzwischen weiter gegangen sind. Bildhauerei und Film sind zum Beispiel bei Matthew Barney ähnlich verknüpft: Beide arbeiten mit Objekten, die als Requisit im Film und als autonome Skulptur außerhalb ein Doppelleben führen, sich in narrative und mythologische Zusammenhänge einspannen lassen und wieder davon lösen. Bei beiden spielt der Gedanke des Hindernisses, das die Kunstwerdung erschwert, und die Lust an der Verkomplizierung der Kunstentstehung, die sich als Geschichte verselbstständigt, eine große Rolle.

Es gibt noch viele Punkte, an denen man Verwandtschaften entdecken könnte, in der Hermetik der Mythologie und der gleichzeitigen Offenlegung des technischen Charakters des Werks wie dem Spiel mit Naturbildern. Nicht zuletzt in der Lust an der Verrätselung. Dennoch glaubt man deutlich den zeitlichen Abstand zu spüren: Rebecca Horn, 1944 geboren, ist ungefähr eine Generation älter als Matthew Barney, geboren 1967. Wo seine Referenzsysteme von Pop, Trash und Genderdebatten geprägt sind, stehen bei ihr Kafka oder Buñuel Pate. Daher hat die Ungeduld, mit der man auf Wiederholungen in Rebecca Horns Werk blickt, auch etwas von einem kleinen Muttermord.

Rebecca Horn im Martin-Gropius-Bau in Berlin, bis 15. Januar 2007