: Das Montagsinterview„Man muss Ablehnung aushalten können“
Wilfried Minks ist ein Theater-Urgestein, Bühnenbildner und Regisseur. Er gilt als ein Visionär von sinnlichen SpielräumenÄSTHETIK ODER PATHOS Der Regisseur und Bühnenbildner Wilfried Minks über seinen ganz persönlichen Stil, und warum er der Meinung ist, dass Politik und Theater nicht zusammenpassen
■ 80, geboren in Binai/Böhmen. 1945 kam er nach Wurzen in Sachsen. Dort betätigte er sich eine Zeit lang als Theatermaler, bis er sich an der Kunstgewerbeschule in Leipzig einschrieb.
■ Nach anderthalb Semestern wechselte Minks an die Berliner Akademie der Bildenden Künste und studierte dort von 1955 bis 1957. Im Jahr 1959 erhielt er ein Engagement am Stadttheater Ulm, an dem Kurt Hübner Intendant war. 1962 ging Minks mit Hübner zum Theater Bremen.
■ In diesen das deutsche Theater prägenden Bremer Jahren arbeitete er mit den Regisseuren Peter Zadek, Klaus Michael Grüber, Peter Stein und Rainer Werner Fassbinder zusammen. Auch mit anderen großen Regisseuren wie Claus Peymann, Peter Palitzsch und Dieter Dorn prägte er das Theater. Seit den 1970er Jahren ist er auch als Regisseur tätig und hat an allen wichtigen Bühnen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz inszeniert.
■ In Hamburg leitete Minks 35 Jahre lang die Bühnenbildklasse der Hochschule für Bildende Künste. Er lebt dort seit 45 Jahren.
INTERVIEW DANIELA BARTH
taz: Herr Minks, können Sie heute Autobahnen noch eine ästhetische Faszination zugestehen?
Wilfried Minks: Ähm. Ich weiß nicht. Wieso? Hab’ ich das etwa mal gesagt? Autobahnen?
Nun ja, Schauspieler Bruno Ganz, der in den 1960er Jahren am Bremer Theater mit Ihnen als Bühnenbildner viel gearbeitet hat, erinnert sich in einem Interview so daran. Ihm habe sich außerdem die Minks’sche visuelle Stempelung der Inszenierungen stark eingeprägt … Stichwort: Bremer Stil.
Ja, ja, das ist lange her. Deshalb kann ich mich an die ‚Autobahnästhetik‘ oder was ich da mal drüber gesagt hab’, nicht erinnern. Aber vermutlich hat es mit meinen Ideen von Raumästhetik zu tun. Die hat sich von der klassischen naturalistischen, die in den noch 1950er Jahren üblich war, sehr unterschieden. Manche fanden das abenteuerlich, für andere war das ein Skandal. Ich habe mich sehr an der modernen Bildenden Kunst orientiert: Andy Warhol, Roy Lichtenstein …
Sie haben ja den Comic-Strip auf der Bühne sozusagen etabliert – in Zadeks legendärer „Räuber“-Inszenierung 1966 im Bremer Theater. Da prangt ein überdimensional großes Bild von Roy Lichtenstein, ein Mann mit Gewehr, aus dem die Buchstaben „CRAK“ geschossen werden.
Ich habe das deshalb genommen, weil Lichtensteins Bilderkraft so eine ähnliche Power wie Friedrich Schillers Wortsalven hat.
Das war Pop-Art auf der Bühne und sorgte für große Aufregung.
Klar, man musste auch Ablehnung aushalten können. Aber wir haben von Bremen aus doch viel bewirkt. Das war ein Aufbruch. Eigentlich hatte das schon 1959 in Ulm begonnen. Hier trafen wir aufeinander: Intendant Kurt Hübner, der an neuen Stoffen und Formen interessiert war, Regisseur Peter Zadek, der englische Gegenwartsstücke mitbrachte und ich. Das war eine ungeheuer fruchtbare Zusammenarbeit, die in der Bremer Zeit ab 1963 noch intensiver wurde.
1970 „zogen“ Sie quasi aus dem Bremer Theater „aus“ und eröffneten in der Concordia – bis dahin Probebühne – das erste Raumtheater Deutschlands. Warum?
Das war ich nicht allein. Der Dramaturg Burkhard Mauer – ein wirklich guter Mann, wenn auch schwieriger Charakter – und ich trieben das gemeinsam voran. Uns hatte schon lange das Portal auf der konventionellen Bühne gestört. Dieser Raum war wie geschaffen dafür, meine, unsere ästhetische Vision wahr werden zu lassen: den weiten, offenen Raum. Hier konnten wir mit den alten Sehgewohnheiten ganz brechen. Hier konnte von allen Seiten be- und gespielt werden.
Hier haben Sie auch mit Rainer Werner Fassbinder gearbeitet, der das Stück „Bremer Freiheit“ inszenierte. Ihr Bühnenbild war ja geradezu irre abstrakt …
Ja, der Raum war regelrecht aufgerissen: ein gigantisches Kreuz, das auf Blut schwamm. Ein paar Poller und Sessel, die auch im Blut standen.
Haben sich die Schauspieler denn nicht beschwert, wenn sie in solchen Räumen agieren mussten?
Nö, wieso? Im Gegenteil, die fanden das gut. Eine Herausforderung. Ich habe ja immer versucht, außergewöhnliche Spielräume zu schaffen, die alle Einfälle auf der Bühne noch plastischer machen.
Sie haben sich als Bühnenbildner sehr in die Inszenierungen reingehangen. Durch Sie war das Bühnenbild nicht mehr bloße Dekoration, sondern ein Teil der „Regie“. Gab das anfangs eigentlich große Reibungen mit den Regisseuren?
Nein. Ich habe mich immer so verstanden, dass ich meine eigene Sache mache. Natürlich habe ich mich mit den Temperamenten und den Haltungen der Regisseure beschäftigt – ich habe ja mit den unterschiedlichsten gearbeitet. Aber ich habe als neutraler Part versucht, spannende Räume zu schaffen, in denen die Regisseure ihre Sache machen können. Bedient habe ich sie nicht, ich habe ihnen Möglichkeiten nach meiner Vorstellung von Kunst geschaffen.
Welche Funktion hat denn Ihre Kunst auf der Bühne? Insbesondere beim so genannten Bremer Stil, dem Sie ja bei allen unterschiedlichen Regieansätzen – angefangen bei Peter Zadek über Peter Stein bis zu Klaus Michael Grüber – immer Ihren speziellen optischen Ausdruck verliehen?
Mein Grundgedanke ist: Ich will ein Theatererlebnis für alle Sinne herstellen und Räume für Schauspieler schaffen. Ideologie, falsches Pathos und Ähnliches hat meiner Meinung nach nichts auf der Bühne verloren … Fragen stellen: ja. Antwort geben: nein.
Aber gerade Ende der 1960er Jahre war doch eine politisch bewegte Zeit. Hielt die nicht auch im Theater Einzug?
Wir, Kurt Hübner, Peter Zadek und ich, haben gesagt, wir finden Politik auf und im Theater Scheiße. Ja, das war damals in den 1968er Jahren gar nicht so einfach. Während der Notstandsgesetze kam es zu Theaterbesetzungen. Die brachten aber gar nichts, außer Frust beim Publikum oder dann ganz schnell auch Gewöhnung. Eigentlich war das für mich eine Geschmacklosigkeit.
Wieso dieses harte Urteil?
Es waren meine Erfahrungen in der Nazi-Zeit, die mir jegliche Ideologie suspekt machten und im Übrigen noch machen. Genau das hat mich mit Hübner und Zadek verbunden. Das hat uns doch auch zu einer ästhetischen Erneuerung des Theaters getrieben: Die Nazis hatten doch das Theater – vor allem die Klassiker – mit all dem aufgesetzten Pathos für ihre Ideologie missbraucht.
Sie arbeiten seit fast 40 Jahren auch als freier Regisseur, inszenieren an allen großen deutschsprachigen Bühnen; aktuell am Hamburger Thalia Theater. Sie machen Ihre Bühnenbilder immer selbst. Ist das ein Vorteil?
Es ist schon etwas anderes, wenn man ein Bühnenbild für sich selbst entwirft. Es ist eher von Vorteil, man macht es für einen anderen, dann bleibt man offener, kann sich besser absetzen. Bühnenbild hat mit Architektur und Welt zu tun. Man schafft eine Welt, in die ein anderer die Teile baut oder sie ins Verhältnis zu dieser setzt. Wenn man die Welt quasi für sich selbst entwirft, besteht die Gefahr, dass man sie sich ein bisschen zurechtmacht. Das passiert nicht bewusst. Und auch nicht, weil ich zu faul bin. Es entsteht durch die intensive Beschäftigung mit dem Stück eine große Nähe. Das macht es manchmal schwierig.
Und was für einer Welt, welchen Fragen werden wir in „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“ begegnen?
Einer komplizierten … Es geht um humanitäre Ideale, die sich in der Wirklichkeit eines Entwicklungslandes gar nicht so erfüllen lassen, viel dreht sich um Verlust, um Desillusionierung, vielleicht auch um Hilflosigkeit. Wie geht man damit um, wie ist sie zu ertragen? Ich finde da immer wieder neue Fragen. Ach, das hört gar nicht auf.
Am 27. November wird Ihnen in Essen der Theaterpreis „Der Faust“ für Ihr Lebenswerk verliehen. In der Vergangenheit sind sie aber nicht gerade mit Preisen überhäuft worden …
… ich glaube, ich hab’ bisher noch gar keinen bekommen, oder?
Welche Gefühle weckt das in Ihnen?
Och, gar keine. Damit beschäftigte ich mich dann bei der Verleihung. Das werde ich dann sehen … beziehungsweise fühlen …
Premiere von „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“: 20. November, Thalia Theater, Hamburg