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Archiv-Artikel

Sorge um das Schienennetz

Wenn die Deutsche Bahn die Infrastruktur behalten darf, drohen die Strecken zu verrotten, befürchten Verkehrsverbände. Folge wären noch mehr Verspätungen

14 Prozent der Schienenschäden sind heute schon älter als zwei Jahre

BERLIN taz ■ Jeden Tag summieren sich die Verspätungen der Züge in Berlin und Brandenburg auf 50 Stunden. Damit müssen die Fahrgäste hier jedes Jahr rund 200.000 Stunden unfreiwillig verbummeln. Grund dafür laut Arnd Schäfer von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger im Schienenpersonalverkehr (BAG-SPNV): der schlechte Zustand des Schienennetzes. Die Verspätungen seien auf sogenannte Langsamfahrstellen zurückzuführen. Allein in den beiden Bundesländern gebe es davon 281.

Mit diesen Zahlen wollten die Vertreter des BAG-SPNV, des Verkehrsclubs Deutschland und des Netzwerks der Privatbahnen gestern noch einmal unterfüttern, warum sie dagegen sind, dass die Deutsche Bahn AG (DB) beim geplanten Börsengang auch die Zuständigkeit für das Schienennetz behält. Heute treffen sich Regierung und Fachpolitiker der Koalitionsparteien, um über den Fortgang der Bahnprivatisierung zu sprechen.

Schäfer befürchtet, „dass der Renditedruck privater Investoren Vernachlässigung und Rückbau der Schieneninfrastruktur noch beschleunigen“ wird. Zumindest wenn die DB, wie Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) plant, nach dem sogenannten Eigentumssicherungsmodell an die Börse geht. Dabei wäre die DB wirtschaftlich für die Schienennetze zuständig, formaljuristisch blieben diese im Besitz des Bundes.

Arthur-Iren Martini vom Netzwerk Privatbahnen findet das „abstrus“. Auch in Bayern und Baden-Württemberg müssten die Züge auf 365 Schienenteilstücken langsamer fahren. 14 Prozent der Mängel seien dabei schon älter als zwei Jahre.

„Das geplante Privatisierungsmodell ist eine Mogelpackung“, erklärt BAG-SPNV-Geschäftsführer Schäfer. Zwar müsse der Staat nicht immer selbst handeln, er müsse aber zumindest seinen Einfluss auf die Netze behalten und die notwendigen Entscheidungen selbst fällen. Schäfer warnte vor den Vorbildern Großbritannien, Neuseeland und ihren „gescheiterten Privatisierungen“. Dort habe der Staat die Schienennetze jeweils teuer zurückkaufen müssen, nachdem sich die privaten Betreiber nicht ausreichend um die Infrastruktur gekümmert hatten.

Die Kritik an dem Eigentumssicherungsmodell erhält inzwischen auch Unterstützung aus dem Hause Tiefensee. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, kommen vom Bundesverkehrsministerium beauftragte Gutachter zu dem Schluss, dass der Bund weitgehend auf seinen Einfluss auf das Netz verzichten müsste, damit das Modell überhaupt handelsrechtlich haltbar ist. Außerdem müsste die geplante Vereinbarung zeitlich befristet werden. Danach falle das Netz der Bahn und nicht dem Bund zu, heißt es in dem Gutachten. Beides war bislang eigentlich nicht Tiefensees Ziel.

CHRISTIAN HONNENS