: „Ganz Europa schuldet Ihnen Dank“
Nazi-Opfer werden zu oft „ungern gesehen“, so NRW-Ministerpräsident Rudolf Amelunxen am 26. Oktober 1946
„Meine Damen und Herren! Für Ihre Haltung und Ihr Beispiel schuldet das deutsche Volk und ganz Europa Ihnen Dank. Ich stehe vor Ihnen nicht nur als Vertreter der Regierung, sondern auch als ein Mann, der unter dem Nazitum hinreichend gelitten hat und viele Monate morgens, wenn der Milchmann schellte, begründete Angst hatte, abgeholt zu werden. Sie dürfen daher auch das Vertrauen haben, dass von unserer Landesregierung alles getan wird, um Ihnen jede Genugtuung zu verschaffen, auf die Sie mit Recht einen Anspruch erheben.
Man erlebt heute bei manchem Zeitgenossen eine fast unglaubliche Fühllosigkeit und Verhärtung. Die so genannten Kazettler werden ungern gesehen und als unbequem empfunden. Man lehnt sie vornehm ab als Radikalisten oder Extremisten, die ihr Schicksal sich eigentlich selbst durch ihr ewiges Krakelen zu verdanken hätten.
Zu welcher Kategorie von Bürgern diese Zeitgenossen gehören, brauche ich nicht zu wiederholen. Es sind die gleichen Leute, die behaupten, in der Nazizeit sei es dem deutschen Volk besser ergangen, und wenn jemand unter diesem Regime gelitten habe, so sei dies höchstens ein moralisches Leiden gewesen. Geistige Knebelung und seelische Knechtung betrachten solche Leute als eine Bagatelle, die keine besondere Erwähnung verdient. Im schlimmsten Falle sagen sie, man dürfe nicht das eigene Nest beschmutzen. Sie zucken die Achseln über die Tatsache, dass die Köpfe unserer deutschen Bekenner jeden Augenblick rollen konnten.
Die Verseifung der Leichen in Auschwitz halten sie für ein Gräuelmärchen. Sie nehmen es gleichmütig zur Kenntnis, dass über 40.000 Juden aus unserem Land Nordrhein-Westfalen vertrieben und ermordet wurden, dass 25.000 Westfalen und Rheinländer in Todesmühlen geschleppt und wenigstens 2.000 Kranke dieses Gebietes vergast wurden. Es interessiert sie nicht, dass allein die 34 Abgeordneten der KPD unseres Landtages insgesamt 143 Jahre in Lagern und Zuchthäusern, in Gestapokellern und Folterkammern eingekäfigt waren, dass in unserem Land mehr als 400 Geistliche beider christlichen Kirchen zu Märtyrern wurden.
All denen, die den Schandtaten und Verbrechen der Vergangenheit das richtige Verständnis noch nicht entgegenbringen, müssen wir mit wachrüttelnder Aufklärung und eindeutigen Feststellungen entgegentreten.“