„Als säßen da 80 Orchestermusiker drin“

Erholung vom Presslufthammer: Orgelbaumeister Christian Scheffler erklärt, wie er die Bremer „Glocke“-Orgel von ihrer Staublunge befreit hat. Seit heute ist die impressionistisch angehauchte „Königin der Instrumente“ mit ihren 6.000 Pfeifen wieder spielbereit

taz: Herr Scheffler, wie läuft das Geschäft?

Christian Scheffler: Wir haben unendlich viel zu tun. 1990 habe ich meine Firma in Sieversdorf mit zwei Mitarbeitern gegründet, jetzt sind wir 20.

Große Instrumente machen viel Arbeit. Heute wird die Orgel in der Bremer „Glocke“ wieder eingeweiht, die Sie gerade unter den Fingern hatten. Wie lange haben Sie sich damit befasst?

Rund 4.000 Arbeitsstunden – es ging ja nur um eine Instandsetzung. Allerdings werden wir in einer zweiten Renovierungsphase noch mal rund 3.600 Stunden ranmüssen.

Die Sanierung ist notwendig, weil die Orgel bei der Renovierung des Konzerthauses beschädigt wurde.

Das war eine Summe aus unglücklichen Zufällen – wie bei einem Flugzeugabsturz, wo man ja auch von einer Verkettung der Umstände spricht. Die 1928 gebaute Orgel war Anfang der 80er überholt worden, aber die klimatische Situation in der „Glocke“ hat das Instrument austrocknen lassen. Irgendwann waren die Lederdichtungen der 6.000 Pfeifen nicht mehr flexibel. Dann geschah das, was bei einem älteren Menschen, der nicht genug trinkt, auch eintritt: Sie fing an zu röcheln. Und bei der Renovierung des Gebäudes 1997 gab es natürlich jede Menge Staub.

War die Orgel nicht abgedeckt?

Schon. Aber es wusste niemand, dass auch im Inneren der Orgel Arbeit anstand: Dort wurden mit dem Presslufthammer Heizungsrohre verlegt. Das Instrument war danach zwar immer noch funktionsfähig, wurde aber nur sporadisch genutzt. Es ist immer ein Problem, dass Konzertorgeln relativ selten gespielt werden. Und dann müssen sie jedes Mal von Null auf 100 durchstarten. Das ist wie für einen Läufer, der ohne Aufwärmen 100 Meter in 9,6 Sekunden laufen muss.

Wo wir schon bei Zahlen sind: Wie viele verschiedene Töne kann die „Glocke“-Orgel hervorbringen?

Rein rechnerisch geht das in die Millionen, weil jeder der 60 Töne mit beliebigen Kombination von Klangfarben belegt werden kann. Die Anzahl der brauchbaren Möglichkeiten ist natürlich begrenzter: Es macht zum Beispiel wenig Sinn, Pauke- und Piccoloregister miteinander zu kombinieren. Im Prinzip funktioniert die Orgel so, als ob da 80 Orchestermusiker mit ihren Instrumenten drinsitzen würden.

Kommen die künftig oft genug zum Einsatz?

Es wird gerade an einem Nutzungs-Konzept gearbeitet. Man muss natürlich sehen, dass das Repertoire für Konzertorgeln nicht so wahnsinnig groß ist. Reine Orgelkonzerte klingen in der Kirche besser, das muss man einfach mal so hinnehmen. Kombiniert mit einem Orchester kann man allerdings auch in Konzerthäusern Programme machen, bei denen die Luft brennt.

Sie betreuen auch die ebenfalls von Wilhelm Sauer gebaute Orgel im Dom. Was für ein Schwesternpaar sind die beiden Bremer Sauer-Orgeln?

Vom Altersunterschied her müsste man die beiden eigentlich als Tante und Nichte bezeichnen. Die Tante im Dom ist eine typische große romantische Orgel, das „Glocke“-Instrument hat schon einen leichten Hang zum Impressionismus, sie klingt feiner und differenzierter.

Ist sie zickiger?

Ihr technischer Apparat ist schon etwas empfindlich. Anders als bei der Dom-Diva muss man sich der „Glocke“-Orgel mit viel Feinfühligkeit nähern.

Wie blicken Sie dem heutigen Einweihungskonzert mit Wayne Marshall entgegen? Haben Sie Herzklopfen?

Volles Rohr, das ist wie Elfmeterschießen. Die Orgel ist sozusagen für eine Höchstgeschwindigkeit von 110 Stundenkilometern konzipiert, man kann mit ihr auch mal 160 fahren. Aber Marshall spielt garantiert mit 180.

Bremen will ja auch zum norddeutschen Orgelzentrum werden, mit Ausstrahlung bis nach Göteborg. Halten Sie das für realistisch?

Die Riesenstadt Hamburg hat in der Tat nur die Schnitger-Orgel in St. Jacobi, die anderen Instrumente sind doch sehr Kinder ihrer Zeit. Aber man muss da keine Konkurrenzen aufmachen, unter historischen Gesichtspunkten reicht es für beide Städte nicht ganz. In diesem Fall wäre eine große Koalition in Sachen Orgel sinnvoll. INTERVIEW: HENNING BLEYL