: Verdächtige sind weg
POLIZEI Die digitale „Verbrecherkartei“ spinnt. Zeugen werden deswegen nach Hause geschickt
Als die Berliner Polizei im November 1999 ihre „Verbrecherkartei“ digitalisierte, übernahm sie damit bundesweit eine Pilotfunktion. Mussten sich zuvor die Beamten und Zeugen mühsam durch Karteikästen quälen, ging nun alles zeitnah und auf Knopfdruck. Umgerechnet rund 1,4 Millionen Euro hat die Datenbank „Bilddatenverarbeitungs- und Informationssystem“ (kurz Bidavis) gekostet. Und alle waren damit zufrieden.
Dabei werden Zeugen von Straftaten zu Größe, Alter, Aussehen und Besonderheiten von Tatverdächtigen befragt. Anhand dieser Angaben sucht Bidavis innerhalb weniger Minuten nach Vergleichspersonen, auf die die genannten Merkmale passen könnten. Diese Bilder werden den Zeugen anschließend in einer „Wahllichtbildvorlage“ gezeigt.
Doch seit Bidavis aufgerüstet und mit dem Polizeilichen Informations- und Kommunikationssystem (kurz Poliks) vernetzt im Dezember freigeschaltet wurde, ist es damit vorbei. Seither häufen sich Probleme und Systemabstürze. Dauerte die Erstellung von acht bis 15 Vergleichsbildern vorher zwei bis fünf Minuten, so kann dies heute drei bis vier Stunden in Anspruch nehmen, klagen Anwender in sämtlichen Polizeidirektionen.
Das Problem beginnt bereits mit einer aufwendigen Eingabe. War es vorher lediglich notwendig, die Personalien der Einsicht nehmenden Person einzugeben, so muss sie nun auch als Anzeigender, Geschädigter, Zeuge oder Beschuldigter klassifiziert werden. Kommt etwa ein Ehepaar gemeinsam, so ist für jede Person ein eigener Vorgang auszufüllen. Hinzu kommen weitere zusätzliche Abfragefelder, die ausgefüllt werden müssen, bevor Bidavis 2 überhaupt einen Suchvorgang startet. Und selbst der hat seine Tücken. So würden bestimmte Suchkriterien vom System einfach ignoriert, heißt es bei den Praktikern. Vergleichsbilder von Männern oder Frauen „mit Brille“ etwa seien schlichtweg verschwunden. Beim Suchkriterium für einen Mann „mit Bart“ zeige das neue System gern auch einmal rund 500 Fotos an – von denen allerdings nicht unbedingt alle auch Bartträger sein müssten. Kommt es während des aufwendigen Vorgangs zu einem kompletten Systemabsturz – was nicht selten der Fall sein soll –, beginnt nicht nur die ganze Prozedur von Neuem. Auch der Suchantrag nebst Auftragsnummer der anfragenden Dienststelle ist dann verschwunden und muss neu gestellt werden.
Nur dringende oder „herausragende“ Fälle würden daher nach Auskunft der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) gegenwärtig möglichst zeitnah bearbeitet. Alle anderen ruhten. Teilweise müssten Zeugen sogar wieder nach Hause geschickt werden. Damit ist die Berliner Polizei im Grunde wieder in die alten Zeiten des „Verbrecheralbums“ zurückgefallen.
Offiziell werden technische Anfangsprobleme und längere Wartezeiten „in Einzelfällen“ zwar bestätigt; die „Performanceprobleme und die Datendarstellung“ seien unterdessen jedoch behoben. Offiziell hieß es auch, im April würde das Programm wieder laufen. Doch die Probleme mit Bidavis sind nur teilweise behoben. Zwar geht inzwischen einiges schneller, Systemzusammenbrüche gehören indes immer noch zum Arbeitsalltag. „Etwas Zeit können wir ihnen zur Behebung ja noch geben“, so der BDK, „ansonsten brauchen wir was Neues.“
Aus anderen Bundesländern sind derartige Schwierigkeiten beim Erkennungsdienst nicht bekannt. Der Berliner Eigenweg ist offenbar wieder einmal recht teuer. OTTO DIEDERICHS