JÜRN KRUSE ÜBER FERNSEHEN DIE ARD ZEIGT DIE SPANNUNGEN ZWISCHEN RELIGION UND SEX SO LANGWEILIG, DASS MAN SICH DEN FREITAGABENDFILM WÜNSCHT
: Die Rache der Degeto?

Montag Anja Maier Zumutung Dienstag Deniz Yücel Besser Mittwoch Martin Reichert Erwachsen Donnerstag keine Kolumne Europawahltaz Freitag keine Kolumne Europawahltaz

Der Degeto, unserer Lieblingsproduktions- und Filmrechteeinkaufsfirma, schlug in den letzten Jahren ja die Gischt ordentlich ins Gesicht. Erst die ständige Kritik all der Kleingeister und Quotenverächter an der „heimlichen Supermacht des Kitschfilms“ (FAZ), die die ARD-Programmplätze – vornehmlich am Freitagabend – mit „Schmonzetten aus einem dramaturgischen Einheitsbrei“ (Bundesverband Regie) fülle, und dann im Jahr 2012 noch dieser missliche Ärger um den eigenen Etat. Den hatte der damalige Chef Hans-Wolfgang Jurgan so sehr überzogen, dass nichts mehr produziert werden konnte. Das muss man erst mal schaffen, wenn man rund 250 Millionen Euro zu verteilen hat.

Doch nun schlägt die Degeto zurück. Nicht am Freitagabend, sondern montagnachts. Und nicht mit fiktionalem Blabla-Strand-Palmen-Gedöns, sondern mit Dokumentationen. Anders ist nicht zu erklären, wie es „Glaube, Liebe, Lust – Sexualität in den Weltreligionen“ ins Hauptprogramm schaffen konnte. Jeder Schwangerschaftsratgeber aus den 50er Jahren erfühlt besser den Puls der heutigen Zeit als diese verklemmte Ach-wir-sind-doch-alle-verschieden-aber-total-verständnisvoll-Doku.

Da ist zum Beispiel Hülya aus Istanbul: „Sie ist erfolgreiche Modejournalistin und überzeugte Muslima.“ Und um diese Verbindung auch bildlich festzuhalten trägt sie Kopftuch und hat am verhüllten Ohr ein iPhone – mit Bling-Bling-Strass auf der Hülle. Gut, Hülya ist 25, lässt ihr Leben von ihren beiden Brüdern bestimmen, macht nur dort Urlaub (mit ihren Brüdern), wo der Strand für Frauen und Männer getrennt ist, und ist froh, dass ihr Glaube ihr „klare Grenzen“ aufzeigt. Aber – hey – „keine Grenzen gibt es für ihren beruflichen Erfolg“, sagt der Sprecher.

Dann ist da noch Elena, 18 Jahre alt, aus dem „Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg“, wo – wie uns diese Doku lehrt – „der Umgang zwischen den Geschlechtern lässig, entspannt“ ist. Elena fährt Fahrrad (ist ja schließlich ein Szenebezirk hier) und ist im Umgang mit Sexualität auch lässig und entspannt (wie der Szenebezirk). Obwohl sie „gläubige Protestantin“ ist.

Man muss schon die Klischeebrille mit den ganz dicken Glasbausteinen tragen, um diese Pseudowidersprüche, die die Macherinnen und Macher hier aufeinanderprallen lassen, noch interessant oder verstörend zu finden.

Viel verstörender ist, dass keine einzige Position in dieser Dokumentation hinterfragt wird. „Vorehelichen Sex finde ich nicht gut“, sagt beispielsweise Hülya, der Glaube verbiete das. „Das wird zwar weltweit fast überall praktiziert, doch ich denke, Muslime sollen das nicht tun.“

Da ließen sich doch prima Anschlussfragen stellen. Aber nein. Machen wir lieber nicht. Das würde doch die schöne Stimmung total verderben.

Und es wird noch schlimmer: „Glaube, Liebe, Lust“ ist ein Dreiteiler. Zwei Folgen kommen noch! Bitte, liebe Degeto, zeig doch wieder deine Freitagabendfilme. Gerne auch am Montag. Da gab es zumindest irgendeinen Konflikt und ein bisschen Spannung – statt all der entspannten Lässigkeit.