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Archiv-Artikel

Durch alle Instanzen: Klage auf würdigen Freitod

TOD Witwer fordert, der Staat solle todeswilligen Schwerkranken Selbstmord-Medikamente geben

FREIBURG taz | Muss der Staat Hilfe zum schonenden Selbstmord gewähren? Diese Frage verhandelt am Dienstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Kläger ist der Braunschweiger Witwer Ulrich Koch, der einen Musterprozess durch alle Instanzen führt.

Seine Frau Bettina war 51, als sie im April 2002 beim Ausladen ihres Autos stürzte und dabei den Nacken brach. Seither konnte die Hundepflegerin nur noch den Kopf bewegen. Das Herz trieb ein Herzschrittmacher, im Magen ernährte sie eine Sonde und künstlich beatmet wurde sie auch. Sie spürte am ganzen Körper Schmerzen.

Die Ärzte aber erklärten, ihr Zustand sei stabil, sie habe noch viele Jahre zu leben. Da beschloss Bettina Koch, sich selbst zu töten. Sie stellte beim Bundesamt für Arzneimittel in Bonn den Antrag auf Abgabe einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital. Das Narkosemittel führt nach Angaben von Experten zu einer Art „natürlichem Einschlafen“.

Doch das Bundesamt lehnte Kochs Antrag unter Berufung auf das Betäubungsmittelgesetz ab. Die Vernichtung von Leben sei im Gesetz nicht vorgesehen. Bettina Koch ließ sich im Februar 2005 in die Schweiz fahren, dort beging sie mit Hilfe der Schweizer Organisation Dignitas Freitod – mit Natrium-Pentobarbital, das dort an lebensmüde Schwerstkranke verschrieben werden darf.

Ihr Mann Ulrich Koch allerdings führte das Verfahren gegen das Bonner Bundesamt fort. Der Rentner will erreichen, dass künftig auch in Deutschland ein risikoloser und schonender Suizid möglich wird. Bisher ohne jeden Erfolg. Die Verwaltungsgerichte in Köln und das Bundesverfassungsgericht lehnten seine Klagen schon aus formalen Gründen ab. Er könne nicht für einen menschenwürdigen Tod seiner Ehefrau klagen.

Als letzte Möglichkeit rief Koch nun den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an und berief sich auf das Recht auf Privatleben, das auch das Recht auf einen menschenwürdigen Tod umfasse. Der Gerichtshof hat nun überraschend eine mündliche Verhandlung anberaumt. CHRISTIAN RATH