: Eine Frage des Glaubens
GELD UND MORAL Eine Diskussion in Frankfurt ging den religiösen Denkmustern im Bankensektor nach
GESCHÄFTSFÜHRER EINER BANK
„Das System Wirtschaft tut, was das System Wirtschaft tut“, sagte der Soziologe Niklas Luhmann. Basta. Für ihn und radikale Verteidiger des Marktes haben Fragen der Moral im System Wirtschaft keinen Platz. Was dabei rauskommt, weiß heute jeder. Statt Knappheit zu reduzieren und Gewinne zu erzeugen, arbeitet „das System“ zügig an der Selbstzerstörung und widerruft, was bis gestern unter System- und Marktheologen galt: „Die Politik kann die Wirtschaft bestenfalls in der Weise beeinflussen, dass sie ihr Geld entzieht.“
Heute muss der Staat Banken mit Milliarden vor sich selbst retten. Die Lage ist klar, wie es dazu kam und wie es weitergehen soll – weniger. „Gibt es eine Moral der Banken?“, war deshalb eine Diskussion im Rahmen der Reihe „Zeitbrüche. Diagnosen zur Gegenwart“ überschrieben, veranstaltet vom Zweiten Programm des Hessischen Rundfunks und vom Frankfurter Institut für Sozialforschung. Unter der Leitung von Peter Kemper setzten sich der Soziologe Sighard Neckel (Wien) mit den Journalisten Anja Kohl (ARD) und Mark Schieritz (Die Zeit) damit auseinander.
Neckel ist Mitherausgeber des Bandes „Strukturierte Verantwortungslosigkeit“ (Suhrkamp) mit Berichten aus der Bankenwelt: Da wird deutlich, dass selbst unter Bankern neuerdings realistischere Einsichten die systemtheoretischen und neoliberalen Dogmen abgelöst haben. Der Geschäftsführer einer Bank: „Ich hab manchmal den Eindruck, wir haben da so eine Art neue Kirche, so eine Art Finanzkirche, so eine Art Finanzreligion, erfunden, in der alle gläubig sind und keiner mehr was weiß.“
Die ARD-Börsenjournalistin Anja Kohl kennt die Glaubenssätze ihrer Kirche – „Vertrauen ist der Anfang von allem“ – und teilt sie: „Ich weiß nicht, wie, aber es ist notwendig, es gibt keine Alternative.“ Während Mark Schieritz die Frage der Moral in der Bankenwelt auf das handliche Maß der Maxime „Ich haue den Geschäftspartner nicht gleich beim ersten Mal übers Ohr“ zurechtstutzte, stellte Neckel bei Bankern ein eklatantes Defizit an „Professionsethik“ und ein völliges Fehlen von Verantwortung für verursachte Fehler und Schäden fest. Jede Handwerkerinnung hat solidere Standards und – bei Pfusch- und Stümperarbeit – ein größeres Risiko obendrein.
Das Bankwesen hat sich als „geschlossene Parallelgesellschaft“ (Neckel) organisiert und hinter einem quasireligiösen Dogma verschanzt. Die Börsenkirche glaubt, dass über dem existierenden Kapital durch die an der Börse oder außerhalb gehandelten „papierenen Duplikate“ eine numinose, quasitheologisch verbürgte Zweitwelt entsteht. Dass sich diese jederzeit in Luft auflösen kann, irritiert die Glaubenden nicht, solange ihre Geschäfte laufen und sich die Spirale der wundergleichen Selbstvermehrung von fiktiven Werten dreht. „Der Buchwert dieser Papiere“ (Schieritz) ist nicht mehr wert als ein religiöses Erlösungsversprechen. Er entspricht nur einem in Zukunft erhofften Profit. Dieses Hasardspiel mit realexistierenden Fiktionen beruht auf mathematischen Wahrscheinlichkeiten und „religiös anmutenden Hoffnungen“ (Neckel), weshalb Marx den Glauben an Börsenpapiere als „Mutter aller verrückten Formen“ bezeichnete.
Im Bankenbetrieb herrschen „Kompetenzvermutung, Konformismus, Korpsgeist und Glaubenssätze“ (Neckel), die „strukturierte Produkte“ mit priesterlichen Heilsversprechen dekorieren. Das funktioniert dank medialer Lautsprecher, die fast nur Verblödung erzeugen, und weil die politische Regulierung der Finanzmärkte zahnlos bleibt.
Dass sich die Banken darauf verlassen konnten, gerettet zu werden von der Politik, hat für Neckel mit ihrer Macht, ihrem Einfluss und ihren Interessen zu tun. In der Perspektive der Fernsehjournalistin Anja Kohl sieht es ganz anders aus: „Die Landesbanken haben die Krise verursacht“, und die immer hilfsbereiten privaten Banken haben die Regierung bei der Rettung aus dem Schlamassel „beraten“, weil der Politik „die Fachkompetenz“ dafür fehlte. Wenn man das Argument ernst nähme, dann würden demnächst die Delinquenten die Staatsanwälte bei der Anklage und die Richter bei der Urteilsfindung „beraten“, da es beiden an „Fachkompetenz“ in Sachen Delinquenz mangelt.
Was die Zukunft betrifft, so plädierte Schieritz immerhin für eine Finanztransaktionssteuer und eine „Verlangsamung“ auf den Spekulationsmärkten und Anja Kohl für das Verbot besonders spekulativer Produkte, für „wertorientiertes Handeln“ sowie dafür, Banker zu Politikern und Politiker zu Bankern „in die Lehre“ zu schicken: „Die Guten sind dazu bereit.“ Diesen Vorschlag quittierte das Publikum mit vernehmbarem Stöhnen. Abschalten. RUDOLF WALTHER