: Der Braune Kantor
150 Jahre Bremer Domchor – 25 Jahre davon unter der Leitung von Eduard Liesche. Der Kantor der Nazis führte den Chor stramm auf NS-Linie
VON GERHARD HARMS
Eines ist auffällig an der Geschichte des Bremer Domchores, der im Herbst sein 150jähriges Jubiläum mit einem Riesenprogramm feiert: Er hat in dieser langen Zeit nur sechs Kantoren benötigt. Sie alle wechselten nie mehr die Stelle, sondern blieben bis zu ihrer Pensionierung oder ihrem Tod – durchschnittlich 25 Jahre.
Auch Wolfgang Helbich (62), der sechste Kantor, wird bis zu seinem Ruhestand dem Dom treu sein. Seit mehr als 30 Jahren prägt er den bekanntesten Bremer Chor und zieht mit seinen zum Teil grandiosen Konzerten jährlich Tausende Menschen in die große Kirche, die sich mehr durch ihre Atmosphäre denn durch ihre Akustik auszeichnet. Und auch im Ausland findet er immer wieder viel Anerkennung mit seinen bis zu 120 Sängern. Helbich verzichtete sogar auf einen Lehrstuhl in Saarbrücken, um am Dom bleiben zu können. Ein Grund dafür ist sicher, dass die reiche Gemeinde viel Geld für ihre „Musik am Bremer Dom“ zur Verfügung stellt.
Der wohl bedeutendste Domkantor ist Carl Martin Reintahler, der 1872 das Amt übernahm und sich auch als Komponist einen Namen machte. Sein größtes Werk „Jephta und seine Tochter“ gehört heute noch zum Repertoire des Domchores. Reinthaler sorgte auch für ein Highlight in der Chorgeschichte: die Uraufführung des „Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms. Er war mit Brahms befreundet und hatte ihm die Zustimmung dafür abgerungen. Das Werk, eines der ganz großen der geistlichen Musik, sorgt heute noch für Glanzauftritte des Domchores. Eine Platteneinspielung des Requiems unter Helbich wurde gar mit dem „Preis der deutschen Plattenkritik“ bedacht.
Ein anderer Kantor, der nach wie vor von der Domgemeinde hochgehalten wird, ist Eduard Liesche, der Amtsträger von 1930 bis 1955. Unter ihm erreichte der Chor seinen höchsten Bekanntheitsgrad. Allerdings, so darf man wohl vermuten, sind dafür nicht allein seine musikalischen Fähigkeiten verantwortlich gewesen. Sehr geholfen haben dürfte ihm seine Hingabe an den Nationalsozialismus. Er machte den Chor zu einem Sangesverein, der sich bereitwillig für die religiös zelebrierte Hitler-Verehrung einsetzen ließ. Im Dom gibt man ihm allerdings lieber die Rolle eines geschickten Jongleurs, der den Chor „durch die Zeit von Nationalsozialismus und Krieg lavierte“, wie jüngst in der Bremer Kirchzeitung zu lesen war. Doch die Fakten zeigen ein anderes Bild.
Bereits am 29. März 1933, als sich die Nazis auch in Bremen die Herrschaft gesichert hatten, sang der Domchor im Rahmen eines Festgottesdienstes ein Halleluja auf die neue Bürgerschaft. Das hatte es bis dahin nie gegeben. Ein halbes Jahr später folgte ein Auftritt auf einer Großveranstaltung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ – jener Nazi-Speerspitze, die Juden, Linke und andere sich nicht zum Nazi-Kult bekennenden Künstler rasch aussortierte, Berufsverbote erteilte und tausende in die Emigration trieb. Dieser Auftritt beim Kampfbund war für Chormitglieder mit jüdischen Wurzeln mit Sicherheit ein deutliches Zeichen zu gehen, bevor es ihnen auch offiziell verboten wurde.
Liesche leistete in diesem Sinne Pionierarbeit und gibt ein Beispiel dafür ab, wie leicht die NS-Ideologie auch in scheinbar unpolitische Bereiche einsickern konnte. Das Jahr 1934 belegt das besonders gut. Am 30. Januar wurde bereits die einjährige Hitler-Herrschaft im Dom gefeiert – natürlich mit dem Chor, der auch im selben Jahr ein erstes Konzert mit „Nordischer Musik“ gab. Dazu kamen Auftritte bei der NS-Frauenschaft zur „Wimpelweihe“ und am 18. Oktober auf dem Kreisparteitag der NSDAP, wo Beethovens Ode „Die Himmel rühmen der Ewigen Ehre“ und danach das Horst-Wessel-Lied erklangen. Mit Regelmäßigkeit folgten in den Jahren danach nicht nur Lobgesänge zur Machtergreifung, sondern auch zu Führers Geburtstag.
Hinter Liesche stand natürlich die Geistlichkeit des Bremer Doms, die sich zu den „Deutschen Christen“ (DC) bekannte, einer Vereinigung von Theologen, die offen den Judenhass predigten und in Hitler einen Heilsboten Gottes sahen, dem sie die Kirche am liebsten gänzlich ausgeliefert hätten. Hauptperson dieses Prozesses in Bremen war Heinz Weidemann, der sich 1934 zum Bischof ernennen ließ und reichsweit einer der wichtigsten Köpfe der Nazi-Theologen war. Er gehörte zu den wenigen Deutschen Christen, die nach dem Krieg nicht mehr als Pastoren tätig sein durften. Er schrieb einmal an Himmler, er werde dafür sorgen, „dass wir als Christen aus deutschem Blut und deutscher Rasse den antijüdischen Christus zeichnen“.
Das „deutsche Blut“ würdigte auch der Domchor 1938, als er das Oratorium „Saat und Ernte“ von Kurt Thomas aus der Taufe hob. Thomas war nicht nur in der Nazi-Zeit ein willkommener Musiker, im Adenauer- und im Ulbricht-Deutschland konnte er bruchlos seine Karriere als Thomas-Kantor in Leipzig und Professor in Detmold und Lübeck fortsetzen. „Saat und Ernte“ ist ein tiefer Bückling vor den braunen Herrschern. Weder vorher noch nachher wurde ein Domchor-Konzert von der gelenkten Öffentlichkeit so bejubelt.
Die letzten großen Auftritte vor Kriegsende hatte Liesche beim „Kriegseinsatz im Westen“, wie es in der Domchorchronik begeistert heißt. Zweimal fanden Konzerttourneen nach Frankreich, Belgien und in die Niederlande statt, um die Wehrmacht bei Laune zu halten. Dabei gab es neben geistlicher Musik auch Zünftiges und Volksliederabende mit passenden Gesängen.
Das alles ist im Dom bekannt und doch wird Liesche, der bis 1955 ein agiler Kantor blieb, wie kein anderer geehrt. Mehrfach gab es Gedenkkonzerte für ihn, und auch die Stadt Bremen ließ eine Straße in Kattenesch nach ihm benennen. Die Mitglieder des gegenwärtigen Domchores werden gar wöchentlich an ihn erinnert: Im Probenraum ist der Musiker, von dem kein kritisch reflektierendes Wort über seine Nazi-Begeisterung bekannt ist, mit einer Büste stets präsent. Nur Carl Reinthaler wird diese Ehre auch zuteil.
Auszüge aus dem Geburtstagsprogramm: 5.11. 10 Uhr Bruckner-Te-Deum C-Dur, 11.11. Marienvesper von Monteverdi. Mehr unter www.stpetridom.de