: Sandinisten peilen Wahlsieg an
16 Jahre nach dem Ende der Revolution hoffen Nicaraguas Sandinisten auf ein Comeback. Die Spaltung der Liberalen und deren verheerende Sozialbilanz begünstigen ihren Kandidaten Daniel Ortega. Der predigt im Wahlkampf Liebe und Versöhnung
AUS MANAGUA RALF LEONHARD
Wenn etwas den Wahlkampf in Nicaragua geprägt hat, dann ist es die Allgegenwart des Daniel Ortega. Nicht nur die überdimensionalen dunkelrosa Plakate, von denen er gütig herablächelt, und das Bombardement mit TV-Werbung schaffen diesen Eindruck. Ortega ist der einzige der fünf Kandidaten, der nahezu alle 153 Gemeinden und jeden einzelnen Bezirk der größeren Städte besucht hat.
Im Helikopter kommt er eingeflogen, wie ein Himmelsbote. Dann steigt er auf einen Schimmel und reitet in ein Dorf ein oder er setzt sich in einen offenen Mercedes und dreht die Runden durch ein Meer von rot-schwarzen Fähnchen, die an die Aufbruchsstimmung der ersten Jahre der Sandinistischen Revolution erinnern sollen.
Gestus und Diskurs des ehemaligen Revolutionskommandanten erinnern allerdings eher an einen Prediger. In seinem weißen Gewand verkündet der 60-Jährige die Notwendigkeit einer „spirituellen Revolution“ und zitiert statt Marx und Che Guevara Papst Johannes Paul II. Der Ohrwurm „Give Peace a Chance“ von John Lennon verbreitet Flower-Power-Stimmung und unterstreicht die Botschaft von Liebe, Versöhnung und Frieden. Versöhnung gab es mit dem erzkonservativen Kardinal, mit einstigen politischen Gegnern und selbst mit den ehemaligen Konterrevolutionären.
Wenn die Umfragen recht haben, wird Ortega am Sonntag sein Ziel erreichen, sich selbst und den Sandinismus zurück an die Macht zu bringen. Er braucht nach einer Wahlrechtsreform nur 35 Prozent der gültigen Stimmen und 5 Punkte Abstand zu engsten Rivalen. Die Spaltung der Liberalen kommt ihm dabei entgegen. Selbst der US-Botschafter konnte diesmal das antisandinistische Lager nicht einen. Demoskopen sehen an zweiter Stelle den Banker und ehemaligen Finanzminister Eduardo Montealegre mit seiner Liberalen Allianz, Wunschkandidat des nationalen Großkapitals und der USA. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass man Umfragen in Nicaragua nicht trauen darf. Das Wahlvolk ist unberechenbar, vor allem auf dem Land. Gerüchte, die Außenstehende kaum wahrnehmen, können einen plötzlichen Umschwung bewirken. Die größte Abschlussveranstaltung brachte José Rizo von der traditionellen Liberal-Konstitutionalistischen Partei auf die Beine. Rund 150.000 Menschen aus allen Landesteilen füllten den größten Platz Managuas. Hinter Rizo steht der wegen Korruption verurteilte Ex-Präsident Arnoldo Alemán, der vor allem auf dem Land unbegreiflich hohe Popularität genießt. Kaum Chancen hat der Ökonom Edmundo Jarquín, der zwar das solideste Programm anzubieten hat, aber außerhalb der gebildeten Mittelschicht kaum Anhänger findet. Hinter ihm scharen sich ehemalige Sandinisten, die den Personenkult um Daniel Ortega und dessen politische Winkelzüge nicht mehr mittragen wollten.
Vor der Wiederkehr „der dunklen Nächte“ warnen die Wahlspots der rechten liberalen Parteien. Sie meinen die Zeit der Sandinistischen Revolution (1979–1990), als manche Konsumgüter knapp waren und die Energie rationiert werden musste. Aber viele können die Fernseheinschaltungen gar nicht sehen, denn die dunklen Nächte sind längst zurückgekehrt. Ständig fällt irgendwo der Strom aus, und niemand kann sicher sein, wann das Licht wieder angeht.
16 Jahre liberal-konservativer Regierungen haben die Bevölkerung nicht überzeugen können, dass die Rechten besser wirtschaften. „In die eigene Tasche wirtschaften können sie“, meint Ricardo, Chauffeur einer europäischen Botschaft. Man könne Daniel Ortega viel vorwerfen, sagt Nubia Mendez, die vor der Universität in Managua gegrilltes Rindfleisch verkauft, aber Hunger habe es damals keinen gegeben. Heute ist in manchen Regionen jedes dritte Schulkind durch chronische Unterernährung wachstums- oder entwicklungsgestört, wie die schockierenden Statistiken der FAO nachweisen.
Nicaraguas Wirtschaft müsste jedes Jahr 7,5 Prozent wachsen, damit die Versäumnisse der vergangenen Jahre im Sozialbereich wettgemacht werden könnten. Auch von den 3,2 Prozent tatsächlichen Wachstums merken die Armen wenig. Wenn die Anzahl der Armen und Elenden nicht dramatisch zugenommen hat, so nur, weil jedes Jahr 50.000 in den USA oder den Nachbarländern Costa Rica und El Salvador ihr Glück versuchen. Die Geldsendungen der Emigranten, die auf über 1,2 Milliarden Dollar jährlich geschätzt werden, halten nicht nur unzählige Familien am Leben, sondern letzten Endes die Wirtschaft in Gang.
Daniel Ortega vertraut auf die Ölmillionen seines Freundes Hugo Chávez, um seine Versprechen von sozialer Umverteilung erfüllen zu können. Unberechenbar ist allerdings die Reaktion der USA. Einzelne Senatoren haben bereits gedroht, nicht nur die Wirtschaftshilfe zu stoppen, wenn Ortega an die Macht kommt, sondern auch die Geldsendungen der rund 250.000 Emigranten zu verbieten.