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Archiv-Artikel

HELIKOPTER ÜBER KREUZBERG, HYSTERIE BEIM GALLERY WEEKEND, SADOMASO MIT HERRN ROSA Die Streber reisen nach Jerusalem

VON KITO NEDO

Begonnen hatte die lange Weekend-Woche eigentlich schon am Montag, als die New York Times-Chefkritikerin Roberta Smith mit Texte zur Kunst-Herausgeberin Isabelle Graw in der American Academy über Internet und Kunstkritik diskutieren wollte. Leider kam das Gespräch über das Abklopfen von Gegensätzen wie – akademisch versus angewandt, Lesen versus Schauen, Argumentieren versus Beschreiben – nicht hinaus. „Wir sprechen unterschiedlich über dieselben Dinge“, fasste Smith irgendwann das Scheitern des Versuchs zusammen. Da grummelte es im Saal schon eine ganze Weile.

Bereut habe ich den langen Weg zum Wannsee trotzdem nicht: Allein zu sehen, wie sich Smith’ Mann, der Kritiker-Kollege Jerry Saltz, in Krisselmuster-Sakko, Jeans und burgunderfarbenen Rauleder-Sambas im Hintergrund für den Weekend-Marathon aufwärmte, war es wert. Viel lustiger als bei Graw und Smith aber war es am Mittwochabend. Da saß ich zufällig mit am Tisch, als sich ein Gestalter, eine Kuratorin und ein Künstler in einem Kreuzberger Lokal über das Thema Internet und Kunstbetrieb unterhielten. Intensiv wurde das Phänomen Hans-Ulrich Obrist diskutiert: Der omnipräsente Kurator behauptet von sich, extrem wenig Schlaf zu benötigen („Mein Tag ist getaktet wie der von Batman“). Allerdings beschäftigt Obrist angeblich einen Nacht-Assistenten, der sich während der Schlafenszeit um diverse Instagram-Facebook-Twitter-Accounts, das Beantworten von E-Mails und das Abtippen von Obrists zahlreichen Künstler-Interviews kümmert. Deshalb geht im Reich des Super-Kurators die Sonne niemals unter. Über so viel schweizerisches Strebertum wurde am Tisch herzlich gelacht.

Polizeihubschrauber kreisten schon über der Oranienstraße, als ich am Donnerstagnachmittag von Kreuzberg nach Mitte ins Palais am Festungsgraben zum offiziellen Weekend-Empfang radelte. Mehr habe ich vom ersten Mai in Kreuzberg nicht mitbekommen. Später, im von Johann König zur Galerie umgenutzten Gemeindezentrum St. Agnes an der Alexandrinenstraße, blinkte das Blaulicht der Polizeiwannen nach Anbruch der Dunkelheit rhythmisch durch das Laub der Bäume, während sich drinnen, im ehemaligen Kirchenraum, eine selbst versorgende Wassermühle von Michael Sailstorfer stoisch immer weiter um ihre eigene Achse drehte.

Das Vorbild aller Antistreber, Stephen Malkmus (dessen Frau, die Künstlerin Jessica Jackson Hutchins, bei König am darauffolgenden Tag eine Ausstellung eröffnete), stand geduldig und häppchenessend in der Menge und nahm dem Abend die hysterischen Spitzen.

Die nächsten Tage durfte man durch alle Berliner Galerien rasen und mehr oder minder gelungene Ausstellungen ansehen. Vor der CFA-Galerie in Mitte, die cartoonhafte Klischee-Großformate des Wiener Daniel-Richter-Schülers und Joachim-Lottmann-Protegés Christian Rosa zeigte, treffe ich einen kopfschüttelnden Berliner Projektraum-Aktivisten: „Kunst verkommt immer mehr zu einer sadistisch-masochistischen Angelegenheit. Die Leute wollen gequält werden.“

Als beim großen Finale im ehemaligen Tempelhof-Zentralflughafen am Samstagabend gegen 21 Uhr rund 1.000 Sammler, Künstler, Galeristen und Kritiker den richtigen Tischnachbarn suchen, ist die schöne Malkmus-Gelassenheit verschwunden. Die Reise nach Jerusalem beginnt.

Ich frage eine Galeristin, wie ihre Strategie aussieht. „Avoid boring people“, lautet die knappe Antwort. Das denken jetzt alle hier. Vorteil durch Accessoire: Handtaschen sind die ultimativen Werkzeuge, um den Nachbarstuhl zu regieren.

Um mich herum wechseln ständig die Konstellationen, umrahmt von der Nazi-Architektur des Gebäudes. Irgendwann hat sich das Soziale zurechtgeschüttelt. Für ein paar Stunden kommt alles noch einmal zusammen. Weekend vorbei, endlich geschafft. Gefühlt fehlten nur zwei Leute: Roberta Smith und Jerry Saltz waren am Freitag schon wieder nach New York zurückgeflogen.