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Archiv-Artikel

Einig nur gegen Wowereit

TAZ-SERIE TEMPELHOFER FELD Die Gegner der Bebauung werben fürs freie Feld, doch das Wahlvolk zeigt sich noch gespalten

Der Volksentscheid

■ Am 25. Mai stimmen die BerlinerInnen darüber ab, ob das Tempelhofer Feld bebaut werden soll. Der Senat will an drei Rändern des ehemaligen Flugfelds rund 4.700 Wohnungen, außerdem Gewerbegebäude errichten. Die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ will die Bebauung des rund 380 Hektar großen Areals dagegen komplett verhindern. Dafür müssten beim Volksentscheid die Mehrheit der TeilnehmerInnen und zugleich mindestens ein Viertel aller Berliner Wahlberechtigten für den Gesetzentwurf der Volksinitiative stimmen. Am 25. Mai sind außerdem Europawahlen. (taz)

VON KARL GRÜNBERG

Viel Zeit bleibt nicht mehr. Das wissen auch die beiden Frauen, die sich am Tempelhofer Feld mit Flyern und Plakaten den vielen Besuchern entgegenstellen. Noch gut zwei Wochen, dann müssen mindestens 630.000 Berliner und Berlinerinnen auf ihrer Seite sein. Schwierig, doch seitdem die Wahlbenachrichtigungen zum Volksentscheid draußen sind, sorgen sich die Leute von der Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ noch mehr. Ein älterer Radfahrer bleibt vor Mareike Witt, 33 Jahre, stehen. Sie will dem Mann einen Flyer geben, aber der winkt ab. „Ich bin sowieso für euch“, sagt er, „nur verstehe ich den Abstimmungszettel nicht.“ Ein Schlag ins Gesicht, Mareike Witt wird wütend. Nicht auf den Mann, sondern auf den Senat. „Das passiert immer häufiger, die Leute sind verwirrt“, sagt sie.

Über zwei Gesetze wird in Berlin parallel zur Europawahl am 25. Mai abgestimmt: Das „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“ ist von ihnen, der Bürgerinitiative. Das zweite, das „Gesetz zum Erhalt der Freifläche des Tempelhofer Feldes“, ist vom Abgeordnetenhaus. Beide klingen ähnlich, für beide kann man mit Ja oder Nein stimmen, doch nur mit dem ersten stimmt man gegen die Bebauung des Feldes. Mareike Witt befürchtet, dass ihnen durch dieses Verwirrspiel Stimmen verloren gehen.

Ein Stückchen weiter kämpft Lena Schulte, die andere Frau im Team, um einen 30-jährigen Lichtenberger. In seinem Gesicht hängt noch der Wow-Effekt, die Verblüffung über die grenzenlose Weite, die jeden ergreift, der erstmals das Feld betritt. Mit ausgestreckten Armen zeichnet Lena Schulte die Häuser in den Himmel, die hier stehen werden, wenn sie verlieren. Der Mann ist skeptisch. „Berlin braucht Wohnungen“, sagt er. Das kontert Lena Schulte mit Zahlen über Luxuswohnungen, Quadratmeterpreise und Gewerbeflächen, die sie Punkt für Punkt mit ihrem Zeigefinger in die Luft sticht. Zehn Minuten wird sie mit dem Mann diskutieren, bis er es sich noch einmal überlegen will. Schon geht sie zum nächsten Besucher: „Flyer, wenn Sie ihn gelesen haben, geben Sie ihn weiter.“

Ein paar Straßen entfernt liegt das Ladenbüro der Initiative, hier wird geplant, gestritten, koordiniert. Kaum größer als ein Wohnzimmer, in der Mitte ein langer Tisch, in der Ecke stapeln sich Kartons, an der Wand hängt ein Schlachtplan für die kommenden Wochen, auf einer Decke liegt ein Hund, der bellt, wenn jemand reinkommt. Mit 500 Euro haben sie losgelegt. Jeder, der Material bestellte, musste es erst mal selber bezahlen. Inzwischen sind mehrere Tausend Euro zusammengekommen, größere Einzelspenden, damit konnten sie 20.000 Flyer nachdrucken und Werbung im Berliner Fenster buchen.

Das eigentliche Kapital der Initiative sind aber nicht Euro, sondern Menschen. „Die Leute machen einfach“, sagt Mareike Witt zu den zahllosen unbekannten Unterstützern. So wie der 19-jährige Filmemacher Marcus Zahn, der ein YouTube-Video zum Nummer-eins-Hit „Happy“ auf dem Feld drehte und jetzt mit einer Videoanleitung für die Briefwahl weiterhelfen will. Oder die Besitzer von Kiezkinos, die den Werbefilm der Initiative bei sich laufen lassen. Oder Leute, die sich an einen der 20 Infotische stellen, die Flyer in ihre Stadtteilzeitungen legen oder Plakate in Cafés hängen.

„Das passiert immer häufiger, die Leute sind verwirrt“

MAREIKE WITT ÜBER DEN STIMMZETTEL

Doch um ganz Berlin zu erreichen, muss die Initiative raus aus der Komfortzone rund ums Tempelhofer Feld. Deswegen wollen die Aktiven ab Montag ganz Berlin mit 200.000 Kampagnenzeitungen fluten und auch in jene Bezirke vordringen, die sie noch nicht erreicht haben. Finanziert wird die Zeitung nach Angaben der Initiative von den Oppositionsparteien im Abgeordnetenhaus und der Umweltorganisation BUND. Wie die Aktion genau aussehen soll, verrät Mareike Witt aber nicht – sie wollen überraschen.

Eine, die neu mitmacht, ist Kristina, 33 Jahre, Rechtsanwältin. In Dahlem-Dorf geht sie zaghaft auf die Leute zu, mit Flyer in der Hand und bedrucktem Jutebeuteln um den Hals. Während eine Mitstreiterin gegen Luxuswohnungen wettert, argumentiert sie mit dem historischen Wert des Feldes. Es ist das erste Mal, dass sie so etwas macht: „Ich will mir nicht vorwerfen, nicht aktiv geworden zu sein.“

Viele der Angesprochenen kennen das Feld. Eine Frau sorgt sich um die Freiflächen in der Stadt, ein Mann hält die Wohnungen für notwendig, aber alle sind gegen „Wowereits Landesbibliothek“, wie sie sagen. Ein Ehepaar kommt heran. Sie ist gegen die Bebauung, er dafür. Die beiden diskutieren schon seit Langem. Kristina gibt der Frau einen Flyer, „damit können Sie ihn vielleicht noch umstimmen“.

■ Bürgerinitiative: www.thf100.de/start.html

■ Happy-Video: www.youtube.com/watch?v=Zuh1v5qwjNU

■ Stimmzettel Volksentscheid: www.wahlen-berlin.de/abstimmungen/VE2014_TFeld/Stimmzettel_VE14_m.pdfdf