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Archiv-Artikel

DIE EU HAT LÄNGST MEHR ALS EINE TELEFONNUMMER, DIE BARACK OBAMA ODER JOHN KERRY ANRUFEN KÖNNTEN Es geht eigentlich immer nur um den eigenen Brei

DOROTHEA HAHN

„Ach, ihr wählt ein Parlament?“, witzelt ein Freund, der an einer Universität in der US-Hauptstadt Geschichte lehrt. Natürlich weiß er es besser. Aber ich bin die erste Person, die mit ihm über dieses Thema spricht. „Wir sind im Konzept von Nationalstaat verfangen“, begründet er, „wenn sich überhaupt jemand für Wahlen in Old Europe interessiert, dann in einzelnen Ländern.“ Die Freundin in New York redet sich in Sekundenbruchteilen in Rage, als ich das Thema Europawahlen anspreche. Dabei fallen Worte wie „Ignoranten“ und „Idioten“. Und es geht immer nur um die USA: die bevorstehenden Wahlen im November, die wieder einmal verschobene Einwanderungsreform und den alltäglichen Rassismus. Sie ist viel gereist. Und sie spricht Fremdsprachen. Aber davon, dass 300 Millionen EuropäerInnen am 25. Mai ein Parlament wählen, hört sie von mir zum ersten Mal. Wie sollte es auch anders sein?

Bislang hat kaum ein großes US-Medium über das Ereignis berichtet. Schon gar nicht die privaten Fernsehsender, die in Millionen Haushalten von früh bis spät laufen. Die meisten von ihnen haben keinen einzigen Korrespondenten in Europa. Ihre politischen Programmen kreisen um den eigenen Brei: Im Augenblick ist das die Gesundheitsreform (seit fünf Jahren), die Schwulenehe (mindestens ebenso lange), der Überfall auf das US-Konsulat in Bengasi (seit eineinhalb Jahren) und die Ukraine. Die beiden letzteren Themen klingen außenpolitisch. Doch die großen US-Sender reduzieren sie auf ihren Nutzen für innenpolitische Schlachten: die Frage, welche US-Politiker verantwortungslos, verschwörerisch oder verräterisch mit der Gewalt in Libyen umgegangen sind. Und welche Politiker „Patriotismus“ gegenüber Moskau zeigen.

Die Grenze ist fast immer der eigene Tellerrand. Was jenseits davon geschieht – abgesehen von Kriegen und Katastrophen – dringt zwar zu den Thinktanks in der US-Hauptstadt vor – und der Handel mit der EU mag florieren. Aber die große Öffentlichkeit erfährt von alledem nur durch den Filter der nationalen Themen.

Bei den Europawahlen kommt so den radikal Rechten eine zentrale Rolle zu. Sie sind die Einzigen, die es bislang in den USA in vereinzelten Berichten über die kommenden Europawahlen geschafft haben. Der afroamerikanische Klempner aus der Bronx weiß, dass in Frankreich eine Frau gewinnen könnte, die ihn an die Tea Party denken lasse.

Wenn Frau Ashton und die Herren Barroso und Van Rompuy gemeinsam über die Pennsylvania Avenue in Washington gingen, würde niemand sie erkennen. Und in Brüssel – oder Berlin – sucht Washington immer noch nach dem einen zentralen Ansprechpartner, den es in der EU nicht gibt.

Als Obama nach mehr als fünf Jahren Amtszeit im März zu seinem eintägigen ersten Besuch in Brüssel landet, ist das in Europa ein Großereignis. In den USA hingegen geht es unter. Von der Europareise des US-Präsidenten schafft es allein das anschließende Treffen mit dem Papst in die Schlagzeilen. Mit der EU lassen sich keine Wahlen gewinnen. Mit Katholiken hingegen schon.