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Archiv-Artikel

Gift auf dem Meeresboden

Nach einer Unterwassersprengung bedroht giftiges TNT aus Kriegsmunition die Kieler Förde. Die Gefahr für Mensch und Umwelt ist groß. TNT schädigt die Erbsubstanz. „Die Untätigkeit der Behörden ist unbegreiflich“, sagen Natürschützer

AUS KIELESTHER GEIßLINGER

Tausende Tonnen von Bomben und Munitionsbehältern, gefüllt mit Kampfstoffen und Giftgasen aller Art gammeln bis heute in Nord- und Ostsee – eine riesige Altlast der beiden Weltkriege. Die meisten Alt-Sprengstoffe sammeln sich in den so genannten Versenkungsgebieten: Dort verklappten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg tonnenweise gefährlichen Schrott, bis heute sind diese Unterwassermüllplätze ungeborgen.

Vor zwei Jahren entdeckten Taucher ein Areal nahe Kiel, auf dem Torpedos und Minen lagern. Laut einem Bericht von Spiegel Online sind Mitte Oktober bei dem Versuch die Munition mit Sediment zu bedecken, mehrere Sprengköpfe aufgebrochen. Drei Sprengungen hatte das Umweltministerium in Kiel demnach veranlasst. Sie sollten den Meeresboden aufwühlen und die Sprengköpfe darin verschwinden lassen. Aus den zerborstenen Sprengköpfen soll jetzt aber mehr Gift austreten als zuvor. Es kann Menschen, Tiere und die Umwelt schädigen.

Das zuständige Landwirtschaftsministerium wollte sich gestern auf Anfrage zu dem Fall nicht äußern. Es blieb bis Redaktionsschluss unklar, ob eine weitere Sprengung oder eine Bergung der lecken Torpedos versucht wird. Doch auch wenn die akute Gefahr beseitigt wird: Das Problem bleibt bestehen. „Die Untätigkeit der Behörden ist unbegreiflich“, sagt Hans-Jörg Lüth, Geschäftsführer des BUND Schleswig-Holstein. Die Gefahren für die Umwelt seien groß: „Es ist nicht so, dass die Fische mit dem Bauch nach oben treiben, aber es gibt Schäden im Erbgut, die sich langfristig auswirken.“ Wenn die Folgen zu sehen seien, sei es bereits zu spät. Auch Menschen könnten Schaden nehmen: „Die Gebiete sind zwar auf Karten eingezeichnet, aber nicht gesperrt. Es kann sein, dass Boote dort ankern und damit eine Sprengung auslösen.“ Material könnte an die Strände getrieben werden: „Kinder könnten es in den Mund nehmen.“ Und noch eine Gefahr sieht Lüth: Taucher, die aus Abenteuerlust oder auf der Jagd nach Weltkriegsdevotionalien dort auf Beutezüge gehen, könnten Munition explodieren lassen. „Wir dürfen das Problem nicht verniedlichen, es muss etwas passieren.“

Das ist aber nicht so einfach, weiß Rainer Steenblock, heute für die Grünen im Bundestag und in der Fraktion Fachmann für die Munitionsaltlasten. Um das Thema hat er sich bereits gekümmert, als er vor zehn Jahren Umweltminister in Kiel war. Ergebnis: „Eine gruselige Geschichte“, für die es einfache Lösungen nicht gibt.

Denn nicht nur, dass die Bergung Unsummen kosten würde, sie ist auch technisch schwierig. „Alle Fachleute haben erklärt, dass die Gefahren bei der Bergung größer wären als wenn man die Dinge im Wasser lässt“, sagte Steenblock der taz.

Gleichzeitig wird die Lage immer schlimmer, denn das Metall bröckelt im aggressiven Seewasser. Zusätzliche Gefahren birgt der radioaktive Müll russischer Atom- U-Boote. Aktuell ist die Frage nach den Altlasten im Zusammenhang mit der Gaspipeline durch die Ostsee. Steenblock: „Man müsste mindestens genau kartieren, wo was liegt, und dafür sorgen, dass die Stoffe so gut wie möglich abgedeckt sind und es auch bleiben.“ Eine sorgfältige Analyse fordert auch Detlef Matthiesen von der grünen Landtagsfraktion – zahlen müsse allerdings der Bund. Tatsächlich fallen die Wasserstraßen in die Verantwortung des Bundes, Umweltgefahren sind aber Sache des Kieler Fachministeriums. Um konkrete Fälle kümmern sich die Wasser- und Schifffahrtsämter (WSA), wenn die Sicherheit der Schifffahrt bedroht ist.

Üblicherweise landen die Meldungen beim örtlichen WSA – für den aktuellen Fall bei Kiel ist die Lübecker Behörde zuständig. „Wir geben Warnungen heraus, sperren vielleicht ein Gebiet ab“, beschreibt Gerhard Müller-Hagen vom Lübecker WSA das Verfahren. Der Munitionsräumdienst – der dem Innenministerium untersteht – kümmert sich um die „fachgerechte Entsorgung“: „Es wird gesprengt oder geborgen und entschärft.“ Meistens geht das gut – in der Kieler Bucht ist es im konkreten Fall schiefgegangen.