: „Die meisten kennen die Vorgeschichte nicht“
TAZ-SERIE TEMPELHOFER FELD In der aktuellen Debatte über das Feld wird doch vergessen, dass man zuerst mal vor fünf Jahren um die Öffnung kämpfen musste, meinen Aktivisten aus dem Schillerkiez
■ wohnt seit 2001 in Nord-Neukölln, seit 2007 im Schillerkiez. Sie ist Redakteurin des linken Internetmagazins Trend-InfoPartisan.
INTERVIEW JULIANE SCHUMACHER
taz: Frau Eismann, Herr Meyer, Sie laden heute Abend zu einer Veranstaltung ein – um daran zu erinnern, wie der Kampf für ein freies Tempelhofer Feld vor fünf Jahren begonnen hat. Dabei hat die Diskussion doch eigentlich gerade genug Öffentlichkeit.
Gerhard Meyer: Dass das Thema so präsent ist, finden wir gut. Nur wird in der ganzen Diskussion über das Volksbegehren die politische Vorgeschichte gar nicht erwähnt.
Sie meinen die Besetzung des Feldes durch Squat Tempelhof 2009?
Meyer: Nicht nur. Schon 2008, bevor der Flughafen stillgelegt worden war, haben Anwohner und Leute aus dem Umfeld des Stadtteilladens Lunte die erste Initiative gegründet, Tempelhof für alle. Wir waren da nur eine Handvoll, so fünf bis zehn. Aber wir wollten Druck machen auf den Senat, das Feld nun auch wie versprochen zu öffnen. Wir haben damals immer sonntags Zaunspaziergänge gemacht. Da kam dann bald die Frage „Wo kann ich denn unterschreiben?“ Da haben wir auch angefangen, Unterschriften für eine Öffnung zu sammeln.
Daraus ist die Idee zu einer Besetzung entstanden?
Meyer: Nein. Das kam aus anderen Gruppen, von eher jüngeren Leuten aus der linksradikalen Szene. Die hatten die Idee zu einem solchen Event und haben dann ab Ende 2008 angefangen das vorzubereiten. Wir haben das dann mit unterstützt.
Und wie fanden das die Anwohner?
■ heißt eigentlich anders. Er wohnte bereits in den 1970er Jahren im Schillerkiez und macht das seit 2002 wieder. Wie Eismann ist er im Stadtteilladen Lunte aktiv.
Meyer: Das wurde von den meisten positiv aufgenommen, viele haben sich dann im Juni auch beteiligt. Und dieser unglaubliche Polizeieinsatz ist ja allen im Gedächtnis geblieben.
Wie standen die Anwohner denn zur Stilllegung des Flughafens?
Meyer: Es gab ja im Kiez schon kontroverse Diskussionen, als es das erste Volksbegehren gab, um den Flugbetrieb zu erhalten. Manche Anwohner wollten gern, dass das Feld geöffnet wird, aber andere haben auch gesagt: Wir unterschreiben, dass die Flieger weiterfliegen, denn sonst gehen die Mieten hoch und wir müssen hier weg.
Das ist dann auch so gekommen.
Meyer: Die Mieten sind enorm gestiegen, sie sind jetzt bei Neuvermietungen doppelt so hoch wie bei bestehenden Verträgen. Wir hatten neulich einen Infostand im Kiez zu Mieten, und da kommen dann vor allem ältere Leute, die sagen: Was wollt ihr denn, ist doch eh schon alles verloren, wir müssen ohnehin wegziehen.
Andrea Eismann: Dass der ganze Kiez eine ziemlich Aufwertung erleben wird, wenn der Flughafen zugemacht wird, das war mir klar. Aber dass das mit solch einer ungeheuerlichen Geschwindigkeit passiert, das hätte ich nicht erwartet. In Gesprächen kommt auch immer wieder heraus, dass Menschen, die den Schillerkiez bisher als ihren Kiez wahrgenommen haben, sich enorm an den Rand gedrängt fühlen. Die haben das Gefühl, da nicht mehr reinzupassen, bekommen einen Lifestyle vorgelebt, von dem sie wissen, dass sie ihn sich niemals werden leisten können.
■ Am 25. Mai stimmen die BerlinerInnen darüber ab, ob das Tempelhofer Feld bebaut werden soll. Der Senat will an drei Rändern des ehemaligen Flugfelds rund 4.700 Wohnungen, außerdem Gewerbegebäude errichten. Die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ will die Bebauung des rund 380 Hektar großen Areals dagegen komplett verhindern. Dafür müssten beim Volksentscheid die Mehrheit der Teilnehmer und zugleich mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten für den Gesetzentwurf der Initiative stimmen. (taz)
Und diese veränderte Zusammensetzung spiegelt sich auch in der Initiative 100 Prozent Tempelhof wider?
Meyer: Die Initiative für ein Volksbegehren ist 2011 entstanden. Ich bin selbst auch dort weiterhin dabei. Aber es gab da viele Wechsel. Die Leute, die inzwischen die Initiative dominieren, sind alle erst sehr kurz dabei, ein Jahr etwa. Die meisten kennen die Vorgeschichte überhaupt nicht. Das ist eben auch eine ganz andere Klientel, mehr so eine studentische Mittelschicht. Das heißt aber nicht, dass wir gegen die Initiative sind oder gegen das Bürgerbegehren.
Meinen Sie nicht, der Bau von mehr Wohnungen auf dem Feld könnte die Mietsteigerungen stoppen?
Eismann: Im Gegenteil, das würde die Gentrifizierung noch mehr anheizen. Wer sich anschaut, was für ein Publikum da angesprochen werden soll, sieht doch: Dort wird kein Wohnraum geschaffen für die, die ihn in Neukölln dringend benötigen.
■ Die Geschichte der vergangenen 100 Jahre spiegelt sich exemplarisch auf dem Tempelhofer Feld: Es war Exerzierplatz, Berlins erster Zentralflughafen, Standort eines KZ, schließlich ein Park der fast unbegrenzten Möglichkeiten. Was ergibt sich aus dieser Vergangenheit für die aktuelle Debatte über eine mögliche Bebauung?
■ „Das Tempelhofer Feld – eine Jahrhundertchance!“ Das diskutieren heute im taz-Café Rolf Lautenschläger, taz-Redakteur und Autor des aktuellen Buchs „Das Tempelhofer Feld“, Wolfgang Schuster vom Architekten- und Ingenieur-Verein, Johanna Schlaack vom Center for Metropolitan Studies TU Berlin und Manfred Kühne, Leiter der Abteilung Städtebau und Projekte in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Nina Apin von taz.berlin moderiert. 19.30 Uhr, Rudi-Dutschke-Str. 23.
Meyer: Und es geht ja auch darum, da eine wirklich große Fläche dieser Verwertungslogik zu entziehen. Wenn das gelingt, wäre das doch ein Erfolg.
Dann finden Sie das Volksbegehren als Aktionsform doch richtig?
Meyer: Natürlich, das hat sich als eine sehr effektive Aktionsform herausgestellt. Schon deshalb, weil es ganz vielen Leuten ermöglicht hat mitzumachen, die vielleicht bei anderen Aktionen nicht dabei wären.
Eismann: Das ist ja auch eine enorme politische Leistung, die die Initiative da erbracht hat. 200.000 Unterschriften zusammenzubringen – das muss man auf jeden Fall würdigen. Aber die Initiative hat sich da in einen ungleichen Kampf begeben: Der Senat, der ihr gegenübersteht, hat ja ganz andere Ressourcen, finanzielle Mittel und beste Beziehungen zur Bau- und Immobilienbranche. Das müsste die Initiative problematisieren, auch kritisieren. Aber das tut sie nicht. Wenn sie sich, wie sie es derzeit tut, so betont seriös und bürgerlich gibt und auf den „demokratischen Wettbewerb“ setzt, schneidet sie sich ins eigene Fleisch.
■ „Fünf Jahre Kampf ums Tempelhofer Feld“, Film + Diskussion, heute, 19.30 Uhr, Versammlungsraum im Mehringhof, Gneisenaustr. 2 a