: Wer zuerst „Frieden“ sagt, hat gewonnen
LINKSPARTEI Kritische Äußerungen über Russland kommen beim Parteitag in Berlin nicht gut an. Die Vorsitzende Katja Kipping versucht es dennoch damit und bekommt ein schlechtes Wahlergebnis
■ Schatzmeister: Der Brandenburger Thomas Nord setzte sich im zweiten Wahlgang gegen den bisherigen Amtsinhaber Raju Sharma durch. Die Parteispitze hatte Nord vehement unterstützt – ein beim Posten des Schatzmeisters sehr ungewöhnliches Verfahren.
■ Fraktionsspitze: Ungewöhnlich war auch ein mit knapper Mehrheit gefasster Beschluss, laut dem noch 2014 eine Doppelspitze die Bundestagsfraktion führen soll. Das zielt auf Gregor Gysi, der seinen Job nicht mit Sahra Wagenknecht teilen will. Der Vorstand ist bis Herbst 2015 gewählt. Aus Gysis Umfeld hieß es, nicht die Partei, die Fraktion bestimme über ihre Führungsstruktur.
AUS BERLIN STEFAN REINECKE
Bis zum Samstagabend war der Parteitag genau so, wie es sich Strategen zwei Wochen vor der Europawahl wünschen: keine Kämpfe, keine Zerwürfnisse, keine Opfer. Das Interessanteste war Altkader und Ex-DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, der sich neben der obligaten Ermahnung der Fraktion, nicht vom Friedenspfad abzuweichen, daran erinnerte, dass er schon mal hier geredet hatte: im Osten Berlins 1958, als FDJ-Sekretär. Vor ihm hatte damals Nikita Chruschtschow gesprochen. Das ist eine hübsche Anekdote – und mehr. Sie könnte erklären, warum die Linkspartei einem nostalgisch verfärbten Russlandbild anhängt. Und warum sie sich schwertut, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.
„Im Ukrainekonflikt stehen wir weder an der Seite Russlands noch an der Seite der Nato“, rief Parteichefin Katja Kipping den 500 Delegierten im Berliner Velodrom zu. Sie kritisierte den Mangel an demokratischen Freiheiten in Russland und dass Pussy-Riot-Aktivistinnen in Straflager gesperrt wurden. Applaus? Fehlanzeige. Ihr eher bescheidenes Wiederwahlergebnis – nur 77 Prozent – mag damit zu tun haben: Deutliche Kritik an Putin mögen viele GenossInnen nicht.
Ihr Ko-Chef Bernd Riexinger erhielt fast 90 Prozent. Das war Anerkennung für seinen moderierenden Stil. Und für seine ziemlich schlichte Haltung in der Außenpolitik. Man werde „die friedenspolitischen Positionen nicht aufweichen“, um die Tür „für irgendwelche Regierungskoalitionen“ zu öffnen, sagte er. „Mit uns sind keine Auslandseinsätze der Bundeswehr zu machen“, so Riexinger.
Solche Töne kamen gut an. In ähnliche Richtung wies Außenpolitiker Wolfgang Gehrcke, der beim Ukrainekonflikt viele Forderungen an Kiew und die EU, aber keine an Russland addressierte. Die linke Flügelfrau Sevim Dagdelen agitierte wie gewohnt gegen die „Kumpanei der Bundesregierung mit Faschisten“ in der Ukraine. Russische Staatsmedien klingen nicht viel anders.
Die geheime Dramaturgie des Parteitags lautete: Wer zuerst „Frieden“ sagt, gegen den Westen wettert und zu Russland schweigt, gewinnt. Außenpolitische Realos wie Stefan Liebich waren froh, dass im Kompromissantrag zur Ukrainekrise immerhin erwähnt wird, dass die Besetzung der Krim völkerrechtswidrig war.
Der Einzige, der mit seinen klugen Botschaften fast die ganze Partei hinter sich bringen kann, bleibt Gregor Gysi. Die Linke dürfe im Ukrainekonflikt nicht einseitig sein, mahnte der Chef der Bundestagsfraktion. Er kritisierte scharf, dass die Bundesregierung die Übergangsregierung in Kiew, an der Rechtsextreme beteiligt sind, mit Geld unterstützt. Der zentrale Fehler aber gehe auf das Konto von EU und Russland. Die hätten die Ukraine vor die fatale „Entweder-oder-Entscheidung“ gestellt und so den Konflikt eskaliert. Dann verabschiedete er sich gen Moskau, um „deeskalierende Gespräche“ zu führen.
Europataz SEITE 14