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Im Conchita-Fieber

ÖSTERREICH Der Sieger des ESC, Tom Neuwirth, kann sich vor Gratulationen von Politikern kaum retten

WIEN taz | Österreich trägt Bart. Von den Tausenden Fans, die Conchita Wurst Sonntagnachmittag am Wiener Flughafen Schwechat erwarteten, hatten sich viele einen schwarzen Damenbart aufgemalt oder umgehängt. „Rise like a Phoenix“ erklang in der Ankunftshalle als Dauerbeschallung. Und als der Sieger des Song Contests schließlich eskortiert vom AUA-Personal aus dem Zollbereich trat, brach Jubel aus. Der Künstler Tom Neuwirth hat mit seinem Auftritt in Kopenhagen mehr für die Rechte von Homosexuellen geleistet als die Antidiskriminierungsgesetze der letzten Jahrzehnte.

Wenn Österreicher im Ausland erfolgreich sind, springt die Politik schnell auf den Popularitätszug auf. Von Bundespräsident Heinz Fischer abwärts wurden Kommuniqués verschickt, wie stolz man sei. Selbst Vizekanzler und ÖVP-Chef Michael Spindelegger, der zur Homoszene und nichttraditionellen Lebensentwürfen ein eher distanziertes Verhältnis pflegt, wollte nicht fehlen. Allerdings konnte er sich nicht dazu durchringen, Conchita Wurst direkt anzusprechen. Das ganze Land sei „stolz und freut sich mit Thomas Neuwirth über die große europäische Anerkennung“.

FPÖ-Chef Heinz Christian Strache rang sich als letzter der Parteichefs einen Glückwunsch ab. Seine erste Facebook-Botschaft ließ noch erkennen, wie schwer es ihm fiel, dem vor dem Wettbewerb noch verspotteten Künstler symbolisch die Hand zu reichen. Nach Protesten vieler seiner Facebook-Freunde korrigierte er aber nach einigen Stunden in „Ich gratuliere“. Nur sein Kandidat für die EU-Wahl Harald Vilimsky blieb konsequent. Er outete sich als Fan von Udo Jürgens und wünscht sich einen Bewerb, „wo ein Österreicher in deutscher Sprache singt“.

Aus der Reihe tanzte wieder einmal der erzkatholische Landwirtschaftsminister André Rupprechter (ÖVP), der twitterte: „Österreichs Wurst ist die beste.“ Er hat sich schon wiederholt gegen die Parteilinie für die Stärkung von Homosexuellenrechten starkgemacht und meint jetzt, „dass die Botschaft genau die richtige war“, nämlich Conchita Wursts Aufruf zu mehr Akzeptanz und Toleranz.

Was das Einschwenken der ÖVP auf seine Linie betrifft, gab er sich im Ö1-Radio-Interview gebremst optimistisch. Er sprach von einem „Evolutionsprozess, der begonnen hat“, und: „Es gibt entsprechende Prozesse, die wir eingeleitet haben.“

Bisher sind Vorstöße der SPÖ, die noch immer existierende Diskriminierung von Homosexuellen und Transgender-Personen im Alltag auf dem Gesetzesweg zu bekämpfen, am Koalitionspartner ÖVP gescheitert. So nutzten denn auch Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Gesundheitsminister Alois Stöger, beide SPÖ, das Conchita-Fieber, um in einem Interview in der Tageszeitung Der Standard diese Reformen neu anzustoßen. Sie plädierten für das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare und die Zulassung von Samenspenden. Stöger fordert diese auch für lesbische Frauen: „Menschen sollen ihre Lebensgestaltung selbst in die Hand nehmen. Das ist der richtige Weg.“ Und in Richtung ÖVP: „Mir könnte er schneller gehen.“

Wien ist zwar als Schauplatz des jährlich stattfindenden Life Balls Gastgeber der größten Anti-Aids-Veranstaltung der Welt, doch ist es Gastwirten immer noch erlaubt, homosexuelle Paare des Lokals zu verweisen. Rauswurf aus rassistischen Motiven ist hingegen längst verboten.

Der Life Ball, der am 31. Mai im Rathaus und unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters über die Bühne geht, zieht jedes Jahr Weltstars wie Elton John und Liza Minelli an und fordert die Fantasie von Masken- und Kostümbildnern heraus. Dieses Mal steht er unter dem Motto „Garten der Lüste“. Man darf davon ausgehen, dass auch Conchita Wurst einen großen Auftritt haben wird. RALF LEONHARD

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