Google soll vergessen

PERSÖNLICHKEITSRECHT I Die Suchmaschine muss künftig veraltete Links löschen, wenn jemand seine Rechte verletzt sieht. Datenschutz wird damit wichtiger als Profit

Wer einen veralteten Link aus der Suchliste löschen will, kann einen Antrag an Google stellen

VON CHRISTIAN RATH

HAMBURG taz | Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat faktisch ein „Recht auf Vergessen“ im Internet eingeführt. In einem Fall aus Spanien hat er entschieden, dass Suchmaschinenbetreiber Links zu veralteten Informationen aus der Ergebnisliste löschen müssen, wenn Nutzer dies beantragen.

Konkret geht es um einen Spanier, dessen Haus 1998 zwangsversteigert worden war. Diesen Vorgang machte eine Tageszeitung damals bekannt. Das wäre heute längst vergessen, hätte die Zeitung nicht inzwischen ihre alten Ausgaben ins Internet gestellt. So stößt jeder, der den Namen des Mannes eingibt, auf die damalige Zwangsversteigerung.

Die Zeitung weigerte sich, die Nachricht aus dem Internet zu entfernen, denn sie könne amtliche Bekanntmachungen nicht nachträglich verändern. Deshalb forderte der Mann von Google, künftig Links auf die für ihn peinliche Nachricht zu unterlassen. Das spanische nationale Obergericht legte den Fall beim EuGH in Luxemburg vor, weil das spanische Datenschutzrecht, wie auch das deutsche, im Wesentlichen auf der EU-Datenschutz-Richtlinie von 1995 beruht.

Der EuGH entschied nun, dass die Richtlinie durchaus auf Google und andere Suchmaschinen anwendbar ist. Das ist immer dann der Fall, wenn Daten verarbeitet werden, und das sei, so das Gericht, der Fall – auch wenn Google die Daten in den Ausschnitten der Ergebnisliste unverändert wiedergebe. Auch europäisches Recht sei anwendbar, obwohl die Google-Zentrale in Kalifornien sitze: Immerhin verkaufe Google in der Spanien-Niederlassung Werbung für die Suchmaschine.

In der Sache gibt der EuGH Betroffenen einen Anspruch auf Löschung von Links aus der Ergebnisliste, wenn diese für die ursprünglichen Zwecke „nicht mehr erheblich“ sind. Das dürfte auch auf die Zwangsversteigerung des Spaniers zutreffen, da dieser seine Schulden inzwischen längst bezahlt hat. Wann eine Information „nicht mehr erheblich“ ist, präzisieren die Richter allerdings nicht. Hier wird es noch viel Streit und viele Prozesse geben.

Grundsätzlich müssen die Interessen der Betroffenen zwar abgewogen werden. Gegenüber den wirtschaftlichen Interessen von Google habe das Recht des Betroffenen auf Privatsphäre und Schutz der persönlichen Daten aber in der Regel Vorrang, so der EuGH.

Auch gegenüber den Internetnutzern, die sich mithilfe der Suchmaschine informieren wollen, überwiege „im Allgemeinen“ das Recht der von den Links Betroffenen. Immerhin entstehe durch eine Suchliste ein „mehr oder weniger detailliertes Profil“ ihrer Persönlichkeit. Ausnahmen vom Löschungsanspruch soll es nur geben, wenn die Stellung des Betroffenen im öffentlichen Leben dies erfordert. Politiker und andere Promis können Jugendsünden also nicht so einfach aus Googles Suchlisten entfernen wie Normalbürger.

Wer einen veralteten Link aus der Suchliste löschen will, kann direkt einen Antrag an Google stellen. Wenn Google dem nicht nachkommt, kann der Betroffene eine Überprüfung durch die zuständige Datenschutzbehörde verlangen. In Deutschland ist dies der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar. Wer auch hier keinen Erfolg hat, kann ein Gericht anrufen.

Das Luxemburger Urteil kommt überraschend. Der unabhängige Generalanwalt am EuGH hatte sich im letzten Sommer gegen ein Löschungsanspruch ausgesprochen. Zunächst gilt das Urteil nur für Suchmaschinen. Ob es auch einen Anspruch gibt, Informationen an der Quelle zu löschen, also in dem Fall auf der Webseite der spanischen Tageszeitung, musste der EuGH nicht entscheiden.