Linke Lebenslügen

LINKE Die drei Mythen der deutschen Linken in Sachen Einwanderung und Integration

Nur wer selbstbewusst ist, kann auch offen sein. Wahrer Multikulturalismus setzt eine Leitkultur voraus

VON NORBERT BOLZ

Nicht alle Probleme, die unser Land bewegen, sind heillos komplex. Manchmal würden ein wenig historische Bildung und gesunder Menschenverstand genügen, um sie zu lösen. Das zeigt sich in der Integrationsdebatte. Dass es hier keine Fortschritte gibt, liegt nicht an den Dummen und Ewiggestrigen, die man an den Stammtischen vermutet, sondern an den Linken. Das ist erstaunlich, denn Linke sind in der Regel intelligent und gebildet. Was ihr Denken blockiert, sind drei dogmatische Mythen.

Erstens: der Mythos der Ausländerfeindlichkeit. Kranke Hirne unter Glatzen, Springerstiefel und Kampfhunde gibt es überall in der Welt. Aber diese Verrückten, für die wir in Deutschland aus historischen Gründen besonders sensibel sind, sollten nicht den Blick dafür trüben, dass wir in einem der ausländerfreundlichsten Länder leben. Das wahre Problem, das der Mythos von der Ausländerfeindlichkeit verschleiert, hat der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan im Februar auf eine prägnante Formel gebracht: „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“

Solange diese Antiassimilationspolitik gilt, gibt es das Integrationsproblem. Erdogan verkörpert ein Rollback des heroischen Projekts von Kemal Atatürk, die Türkei zu modernisieren und die Türken zu Europäern zu machen. Vieles wäre gewonnen, wenn einer der klugen Repräsentanten der türkischen Gemeinde einmal den Mut aufbrächte, das auszusprechen.

Der Mythos von der Ausländerfeindlichkeit verschleiert auch das Problem der Gewalt „mit Migrationshintergrund“. Die Linken flanieren zwar gern durch die türkischen Gemüsemärkte in ihrem „Kiez“, aber den U-Bahnhof Kottbusser Tor oder den Hermannplatz kennen sie nicht. Der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky steht hier als heroischer Alleinunternehmer. Und die Lehrer in den Schulen der „sozialen Brennpunkte“ haben längst resigniert. Unter den Schülern dort sucht man die Kinder der Linken, so diese welche haben, übrigens vergebens. Und das könnte optimistisch stimmen. Denn fast jeder, der ein schulpflichtiges Kind hat, fängt an, vernünftig zu werden.

Zweitens: der Mythos des Multikulturalismus. Zwei Schlagworte markieren die festgefahrene Integrationsdebatte: „Multikulti“ auf der Linken und „Leitkultur“ auf der Rechten. Multikulturalismus ist das Fazit einer mit dem Kolonialismus beginnenden Selbstkritik des Westens, die das Abendland als einen Schuldzusammenhang konstruiert, aus dem uns nur „die anderen“ erlösen können. Aber dieser Multikultikult der guten anderen ist so undialektisch wie die Gegenparole „Leitkultur“. Am Multikulturalismus ist wahr, dass wir die anderen brauchen. An der Leitkultur ist wahr, dass wir die anderen nur anerkennen können, wenn wir unserer Toleranz eine Grenze setzen. Nur wer selbstbewusst ist, kann auch offen sein. Wer keine eigenen Werte zu verteidigen hat, kann nicht tolerant sein. Multikulturalismus setzt eine Leitkultur voraus.

Es ist eigentlich eine selbstverständliche Erwartung, dass Einwanderer sich mit dem Land ihrer Wahl identifizieren. Dass Linke ein solches Bekenntnis zu Deutschland nicht erwarten, ja verabscheuen, liegt an ihrem pathologischen Verhältnis zum Patriotismus. Gerade hinter ostentativer Ausländerfreundlichkeit versteckt sich oft nichts anderes als Deutschenhass. Überhaupt drängt sich beim Thema Integration der Eindruck auf: Der Kampf gegen die jetzt in „Islamophobie“ umgetaufte Ausländerfeindlichkeit erfindet die Bösen, damit sich die Guten alles erlauben können.

Drittens: der Mythos von der Unmenschlichkeit des ökonomischen Arguments. Wer heute nicht sieht, dass Deutschland Einwanderer braucht, ist ignorant. Der Frage ist nur: welche? Dass an deutschen Universitäten brillante Köpfe aus dem Ausland ausgebildet werden, denen nach Studienabschluss dann Arbeit und Aufenthalt verweigert werden, ist natürlich ein Schildbürgerstreich. Wir brauchen Kinder und Inder. Vor produktiven Immigranten, die sich mit Deutschland identifizieren, hat niemand Angst. Die Akzeptanz der Einwanderer hängt daran, dass die Immigration nicht als Invasion erscheint. Der Eindruck der Invasion entsteht am ehesten bei Wirtschaftsflüchtlingen und beim Nachzug von Großfamilien. Natürlich muss Deutschland politisch Verfolgten Asyl gewähren; aber die Kriterien dafür sollten dem gesunden Menschenverstand nachvollziehbar sein.

Multikulturalismus hieß bisher nur: Abschaffung der Qualitätskriterien bei der Einwanderung. Schon die Immigrationsgesetze von 1967 in Amerika haben diesen entscheidenden Umschwung gebracht. Seither gibt es ein humanitaristisches Tabu, die einfache Frage zu stellen: Können wir die Leute, die zu uns wollen, brauchen? Früher hat man ganz selbstverständlich nach Leistungsfähigkeit und Jobqualifikation gefragt. Heute gelten solche Fragen nach dem Humankapital des Einwanderers als unmenschlich. In Wahrheit aber zeigen sie den Weg zur gelungenen Integration: Deutschland bekommt die Leute, die es braucht. Und die, die dann kommen, sind herzlich willkommen.

Norbert Bolz, 57, ist Medientheoretiker und lehrt an der TU Berlin