Arbeit aus Angst

ZWANGSARBEIT Linke diskutiert über Möglichkeiten, Menschenhandel einzudämmen. Strafverfolgung und Gesetzeslage erhöhen Druck auf Opfer

■ Sonja Dolinsek ist Menschenrechtsaktivistin. Sie betreibt „Menschenhandel heute“ – ein Onlinemagazin über Zwangsarbeit auf www.menschenhandelheute.net.

■ Katharina Kähler arbeitet bei „BBMeZ“ – einer Bremer Beratungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution.

■ Claudia Bernhard ist frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Bremer Bürgerschaft.

■ Stephanie Bergmiller arbeitet beim Gesundheitsamt Bremen.

■ Ianka Pigors ist Juristin und Flüchtlingsaktivistin.

Nach Ansätzen gesucht, den Opfern des Menschenhandels zu helfen, haben Fachleute auf Einladung der Linksfraktion am Dienstag im Kulturzentrum Lagerhaus. Als im Februar über den Spezialfall Sexarbeit gesprochen wurde, war es brechend voll. Diesmal blieben die meisten Plätze leer.

Überall auf der Welt werden Menschen verschleppt und gegen ihren Willen zur Arbeit gezwungen. Einige von ihnen landen auch in Bremen. Wie viele es genau sind, weiß niemand. Vor allem in der Sexarbeit sind viele Frauen in einer Grauzone beschäftigt, die es schwer macht, das Problem zu erfassen.

Zwangsarbeit überhaupt zu definieren, sei bereits die erste Schwierigkeit, sagt Menschenrechtsaktivistin Sonja Dolinsek. Die Fälle der Opfer seien sehr unterschiedlich und müssten im Einzelfall nachvollzogen werden. Ob Zwangsarbeit vorliegt, ist also Einschätzungssache. Als Indikatoren nennt Dolinsek den Entzug des Passes oder systematische Erpressung. Oft blieben Betroffene bei den Ausbeutern, weil diese mit der Polizei drohten.

Ihre Ängste seien berechtigt, sagt Dolinsek. Staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels hätten den Fokus auf polizeilicher Zusammenarbeit und nicht beim Opferschutz. Viele würden am Ende der Ermittlungen abgeschoben.

Daher knüpften viele Hilfsorganisationen ihre Angebote nicht daran, ob die Opfer mit der Polizei zusammenarbeiten wollen, sagt Katharina Kähler von der Bremer Beratungsstelle BBMeZ. Sie betreut jährlich zwischen 30 und 40 Frauen. Grundsätzlich begrüße sie aber, dass in den letzten Jahren mehr Verfahren eröffnet worden seien.

Nicht nur das Bleiberecht erschwert den Ausstieg aus der Zwangsarbeit. Die meisten Klientinnen von BBMeZ kommen aus Bulgarien und sind als EU-Bürgerinnen aufenthaltsberechtigt. Einen Anspruch auf Hartz IV haben sie aber nicht. Ohne die Zwangsarbeit fehlt ihnen die Lebensgrundlage.

Für Claudia Bernhard, die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, liegt hier das eigentliche Problem: „Fängt Zwang schon beim Hunger an?“, fragt sie. Es müsse über materielle Bedingungen gesprochen werden und ein moralisches „Bild der Opferfrau“ sei da hinderlich.

Am Ende stehen die Diskutierenden wieder vor dem Problem der ersten Veranstaltung: Wo Sex als Ware gehandelt werde, seien massive moralische Konflikte auszutragen, sagt Bernhard –nicht nur im öffentlichen Diskurs, sondern auch in der eigenen Partei. Jan-Paul Koopmann