: „Die Schrift des BER ist super“
SCHRIFTBILD Die digitale Revolution, das Deutschtum der Fraktur und der menschliche Touch der taz-Schrift –zuerst aber kommt die Handschrift, weiß Jürgen Siebert, der Organisator der Schriftdesign-Konferenz Typo
■ 57, ist Vorstand des Berliner Schriftenhändlers FontShop AG, die Erik Spiekermann 1989 gegründet hat. Siebert steckt auch hinter der Schriftartseite Fontblog, und er organisiert als Programmdirektor die Typo Berlin.
INTERVIEW ANNE HAEMING
taz: Herr Siebert, welche Schrift kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Berlin denken?
Jürgen Siebert: Zumindest keine einheitliche: Das „Be Berlin“-Logo, mit dem das Standortmarketing wirbt, sieht ganz anders aus als die Schrift auf den offiziellen Briefen, die ich als Bürger von der Stadt bekomme. Sie ist aus Buchstaben ganz unterschiedlicher Schriften zusammengesetzt, das gefällt mir. Ich finde übrigens auch den Font des BER-Flughafens super.
Das ist dann wohl das Einzige, was bislang gelungen ist.
Ja, ich bedauere daher jeden Tag, an dem er nicht eröffnet! Das Tolle ist: Die Schrift für Leitsystem und Werbung sind identisch, das gab es noch nie. Denn das Leitsystem muss schließlich so gut lesbar sein, dass jeder Reisende im Stress sofort sieht, wo er hinmuss. Die Designer haben zwar gesagt, sie hätten die Flugkurven von Start und Landung mit in die Schrift eingebaut, aber das halte ich für etwas weit hergeholt.
Ich habe eine Schrift namens „Berliner“ gefunden. Das ist Fraktur. Passt das zur Stadt?
Na, das Schild am S-Bahnhof Anhalter Bahnhof ist immer noch in Fraktur geschrieben. Und wenn Sie die Amerikaner fragen, sagen die sowieso: Klar, es gibt keine deutschere Schrift. Fraktur taucht ja überall auf, bei Tattoos, Heavy-Metal-Bands, selbst Beyoncé hat sie vor fünf Jahren für Albumcover benutzt.
Es ist auch die Markenschrift der Volksbühne.
Ja, das finde ich auch spannend. So kann man sich eben von den vielen anderen Berliner Bühnen unterscheiden. Dass viele die Fraktur mit dem Dritten Reich assoziieren, ist übrigens historisch falsch. Die Nazis haben sie verboten, weil man sie außerhalb Deutschlands nicht lesen konnte: Sie taugte schlicht nicht für Flugblätter in Feindesland.
Sie betreiben den FontShop, ein Versandhaus für digitale Schriften, und organisieren seit 19 Jahren die internationale Design-Konferenz Typo, die heute im Haus der Kulturen der Welt beginnt: Welche Rolle spielt Berlin in der Branche?
Berlin ist so etwas wie die Hauptstadt des Schriftdesigns. Das liegt auch an Typo und FontShop – und an Erik Spiekermann, der beides mitgegründet hat. Er ist unser wichtigster Typografie-Exportartikel, die ganze Branche kennt ihn.
Seit wann hat Berlin denn diesen Status?
Wenn ich eine Kurve zeichnen müsste, würde sie in den vergangenen zehn Jahren ansteigen. Es kommen noch immer neue Schriftdesigner hierher. Ein Kollege hat eine Website zur Typografie-Entwicklung in Berlin gestartet: Es arbeiten 50 Type-Designer und 20 Schriftverlage hier. Das ist enorm viel für diese Art spezialisierter Beruf.
Und was hat diese Entwicklung ausgelöst?
Das hat mit der Weiterentwicklung des Internets zu tun: als man kapierte, dass es mehr gibt als Verdana und Arial. Bis dahin luden sich Websites die Schriftarten von den Rechnern der Surfer – und die Auswahl auf den PCs war eben nie sehr groß. Inzwischen ist es möglich, eine Website mit einer individuellen Schriftart fest zu verbinden. Man kann freier gestalten.
Wie viele Schriftarten gibt es eigentlich?
Derzeit sind 150.000 auf dem Markt. Als Laie kann man die kaum bewusst unterscheiden. Stattdessen nimmt man sie wie Gerüche oder Farben unterbewusst wahr. Wir gewöhnen uns an eine bestimmte Schriftart, gerade wenn wir sie tagtäglich sehen. Dieser Mechanismus ist besonders kritisch bei Tageszeitungen, wenn sie mal wieder eine Layoutreform durchführen – und treue Leser danach ihr Blatt nicht wiedererkennen und drohen, ihr Abo zu kündigen.
Die taz kennt diese Reaktionen auch. Wie finden Sie denn unsere Schrift?
Die taz war schon immer vorbildlich, sie ist typografisch sehr qualitätsbewusst. Lucas de Groot, auch ein Berliner, hat die Schrift exklusiv für die taz entworfen. Inzwischen kann sie übrigens jeder im FontShop kaufen.
Wenn Sie die Schrift der taz sehen: Was strahlt sie aus?
Es ist eine Sans Serif, vom Stil her humanistisch, also nicht so geometrisch angelegt, sondern aus der Handschrift entstanden. Mit einer gewissen Dynamik, wie mit der Breitfeder geschrieben: Sie hat einen menschlichen Touch. Das ist die ästhetische Facette, aber es gibt ja noch die funktionale Seite.
Und?
Die Schrift der taz ist sehr platzsparend, und man sieht, dass da viel Text möglichst gut lesbar auf wenig Platz unterkommen soll.
Moment: Sie wollen sagen, man sieht der Schrift an, dass diese Zeitung kein Geld hat, Papier zu verschwenden?
Absolut! Werfen Sie nur mal einen Blick auf die Bell Centennial, die wurde für Telefonbücher entwickelt. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass sie in den Ecken eingeschnitzt ist: Damit die Farbe in die Ecken laufen konnte und die Winkel trotzdem spitz und lesbar blieben.
Den Schriftenvertrieb FontShop gibt es seit 25 Jahren in Berlin, gegründet von Erik Spiekermann im Jahr des Mauerfalls. Gibt es da einen zeitlichen Zusammenhang?
Nein, das ist Zufall. Der FontShop entstand auch ein paar Monate vorher. Er war anfangs im Weinhaus Huth am Potsdamer Platz: damals das einzige Haus, das da noch stand. Das war schon surreal. Aber ich glaube, in der Weltgeschichte gibt es immer wieder das Bedürfnis nach Veränderung: politisch, aber auch kulturell. Das kam da vielleicht zusammen.
Seit wann sind Sie denn in Berlin?
Erik Spiekermann holte mich erst 1991 zum FontShop, bis dahin war ich Chefredakteur der Designzeitschrift Page in Hamburg. Aber ich war auch vor dem Mauerfall häufig in Berlin, ich wollte wissen, was in der Designszene im Osten passiert.
Und?
Wenn ich nach Ostberlin fuhr, war ich auf der Suche nach der Avantgarde. Besonders interessant war etwa ein Designbüro an der Ecke Roch- Münzstraße, es hieß Grappa. Die wussten nicht mal, dass es das Getränk gab, sie fanden nur das Wort lustig. Die waren radikal.
Warum?
Die Szene in der DDR war zwar nicht so vielfältig, aber wenn, dann war man so mutig und hat alle Designregeln gebrochen, die es gibt. Natürlich sah man das auch an der Tradition der handgeschriebenen Poster bei den Demonstrationen. Die Plakatgestaltung war vorbildlich.
Sieht man denn heute noch Unterschiede zwischen Ost und West im Schriftbild der Stadt?
Ja, an den Straßenschildern. Daran sind die Bezirksgrenzen zwischen Ost und West noch sichtbar, anders als beim Ampelmännchen. Die Schrift der Berliner Straßenschilder ist übrigens auch digitalisiert, kann man kaufen als „City Street Type East and West“.
Aber wie kann ich die beiden auseinanderhalten?
Interessant wird’s bei sz oder tz. Im Westen schreiben sie es mit Ligaturen, die Buchstaben sind also miteinander verbunden, sehr eigenwillig und selten. Das Auffälligste an der Ostschrift ist: Sie ist total eng.
Wieso?
■ Unter dem Motto „Roots“ widmet sich die Gestalter-Konferenz Typo den dauerhaften Werten des Designs, das sich andererseits durch die totale Digitalisierung enorm beschleunigt hat.
■ Sie findet vom 15. bis 17. Mai im Haus der Kulturen der Welt statt. Info: typotalks.com/berlin/de/
Na, wegen der Straßen mit den ellenlangen Namen! Im Osten musste ja immer die ganze politische Bedeutung, idealerweise samt Vornamen aufs Schild: Straße der Pariser Kommune, Allee der Kosmonauten, Salvador-Allende-Straße, Rosa-Luxemburg-Straße. Im Westen heißt’s schlicht: Goethestraße.
Apropos: In der Rosa-Luxemburg-Straße gibt es sogar einen neuen Laden, der nur Dinge verkauft, bei denen Buchstaben ein Gestaltungselement sind. Woher kommt denn dieser Type-Hype?
Wir erleben gerade eine weitere Revolution in der schriftlichen Kommunikation, wie vor 25 Jahren beim Desktop Publishing. Bis vor wenigen Jahren gab es immer noch die Trennung zwischen denen, die publizieren, und jenen, die das lesen. Heute kann jeder publizieren, in Blogs oder in den sozialen Medien. Und darum setzen sich auch viel mehr Menschen mit Fonts auseinander. Die Schrift wurde demokratisiert.
Zugleich ist der Look von Handschriftlichem gerade überall – eine Gegenbewegung zum Digitalen?
Absolut. Auch Lettering-Kurse sind gerade schwer in Mode, also das Zeichnen von Schrift – nicht zu verwechseln mit der Kalligrafie. Eine der drei bekanntesten Lettering-Expertinnen sitzt übrigens auch in Berlin: die gebürtige Argentinierin Martina Flor.
Was meinen Sie: Wären Sie in einem früheren Leben Schildermaler geworden?
Ich würde gerne beide Techniken beherrschen: Lettering und Kalligrafie. Am konsequentesten wird das in Den Haag gelehrt, wo die besten Schriftentwerfer studieren. Und den einflussreichsten Lehrer dort haben wir dieses Jahr auf unserer Typo-Konferenz. Leider nur mit einem Filminterview, weil der 83-jährige Gerrit Noordzij nicht mehr reisen möchte. Also haben wir ihn besucht und mit ihm gesprochen, um seine Philosophie besser zu verstehen. Er sagte: Der gedruckte Buchstabe kommt immer vom Schreiben her.
Aber wir schreiben ja immer weniger mit der Hand.
Leider. Als ich Noordzji fragte, was daraus folgt, sagte er: Die Schrift geht zugrunde. Ich bin nicht so pessimistisch, auch wenn die Kinder in der Schule nur noch die unverbundene Schrift lernen. Diese Kulturtechnik lebt sicher weiter. Aber sie wird nicht mehr zur Allgemeinbildung gehören. In Zukunft werden unsere Kinder das Schönschreiben im Privatunterricht erlernen. Das hätte mir auch geholfen – ich finde meine Handschrift bis heute hässlich.