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Archiv-Artikel

Wenn Nächstenliebe in Misstrauen umschlägt

KIRCHE Die Heilig-Kreuz-Gemeinde ist bekannt für ihre Obdachlosenarbeit. Nun zogen Beschäftigte vor das Arbeitsgericht

Der Gründer und Wohnheimleiter des Obdachlosenprojekts der evangelischen Heilig-Kreuz-Passions-Gemeinde, Werner Neske, kann erst mal aufatmen: Eine Abmahnung, die ihm die Gemeindeleitung erteilt hatte, kassierte das Arbeitsgericht am Dienstag. Zuvor hatte das Gericht auch die Kündigung eines anderen langjährigen Mitarbeiters für unwirksam erklärt.

Die Kreuzberger Gemeinde ist bekannt für ihr Engagement beim Kirchenasyl und für ihre Obdachlosenarbeit. Bei Letzterer knirscht es seit einiger Zeit jedoch gewaltig. Mitarbeiter des Obdachlosenwohnheims werfen der Gemeinde vor, dass öffentliche Gelder, die für das Projekt gezahlt wurden, in die Gemeindekasse geflossen seien. Ein Bericht des kircheninternen Rechnungshofes bestätigt das für das Jahr 2004. Die Kirchenprüfer fordern darin die Rückführung von knapp 75.000 Euro.

Despektierlich

Als die Gemeindeleitung im Sommer 2013 die Gehälter und Arbeitszeiten der Mitarbeiter des Projekts um 25 Prozent kürzen wollte, eskalierte der Konflikt. Die Kürzungen wurden zurückgenommen, der Streit aber blieb. Vor Mitarbeitern sagte Wohnheimsleiter Neske, die Gemeinde habe das Obdachlosenprojekt ausgenommen „wie eine Gans“. Daraufhin erteilte ihm Pfarrer Peter Storck eine Abmahnung.

Die Richterin entschied nun, dass diese Abmahnung nicht rechtens war. Zwar sah auch sie Neskes Aussage als „despektierlich“ an und fand, der Satz habe durchaus einen „polemischen Anstrich“. Sie wertete ihn jedoch nicht als Behauptung von Tatsachen, sondern als Meinungsäußerung, die dem Wohnheimleiter erlaubt sei.

Pfarrer Storck sieht sich auch nach dem Urteil im Recht. Er weist die Vorwürfe, die Gemeinde habe sich bereichert, als „infame Unterstellung“ zurück. Das Obdachlosenprojekt mache seit vier Jahren Verluste, die die Gemeinde ausgleiche. „Wir haben da viel mehr Geld zugeschossen“, sagt er. Er müsse über Einsparungen nachdenken, um das Projekt auf Dauer erhalten zu können. Mit Neske habe er darüber nicht sprechen können. „Da wird auch ein Versagen der Wohnheimleitung verschleiert“, so Storck.

Wie Gemeinde und Wohnheimleitung wieder zueinanderfinden könnten, ist derzeit unklar. Neske ist seit Monaten arbeitsunfähig erkrankt. Es gab eine externe Moderation, bei der Wohnheim- und Gemeindeleitung am Ende eine Vereinbarung trafen. Doch der Frieden war nicht von Dauer. Beide Seiten beschuldigen nun die jeweils andere, sich nicht an die Absprache gehalten zu haben.

Auf die Frage, ob das Obdachlosenwohnheim nicht besser an einen anderen Träger gehen sollte, sagt Storck: „Nein, wir führen es fort. Es ist ein Projekt der Gemeinde, nicht der Mitarbeiter.“

ANTJE LANG-LENDORFF