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Archiv-Artikel

Haitis Bestplatzierte

Mirlande Manigat kennt noch Haitis alten Präsidentenpalast von innen. Ihr Mann Lesley residierte bis zu einem Putsch gegen ihn im Jahr 1986 vier Monate lang in dem weißen Kuppelgebäude, das beim Erdbeben am 12. Januar wie ein Sandwich in sich zusammengesackt ist. Jetzt sieht es so aus, als könnte die 71-Jährige selbst als erste Frau die Spitze Haitis übernehmen. Mit 31 Prozent ist sie aus den Wahlen als bestplatzierte Kandidatin hervorgegangen. Sie muss nur noch die Stichwahl am 16. Januar gewinnen.

Vom Alltag ihrer Landsleute trennt Mirlande Manigat einiges: Sie ist eine international studierte Juraprofessorin in einem Land mit 45 Prozent Analphabetismus, sie beherrscht das geschliffene Französisch ihrer früheren KollegInnen von der Sorbonne, sie kleidet sich in Kostümen im Pariser Schick, und ihr Alter liegt gut 50 Jahre über dem Durchschnittsalter der haitianischen Bevölkerung. Ihre Kampagne hat sie in der Landessprache Kreolisch geführt. Und darin nannte Mirlande Manigat zwei Dinge als wichtigste Ziele: Schule für jedes Kind sowie Wiederaufbau und Entwicklung des Landes. Realistisch fügte sie hinzu, dass es sich dabei um Vorhaben für die nächsten 25 bis 30 Jahre handelt.

Mirlande Manigat beschreibt sich selbst als „linke Mitte“. In vielen Geberländern, die auf klare politische Signale warten, bevor sie die nach dem Erdbeben versprochenen Dollarmilliarden nach Haiti schicken, genießt sie einen Vorschussbonus. Sie selbst hat angekündigt, mit der internationalen Gemeinschaft auf Augenhöhe zu verhandeln.

Manigat hat lange nicht daran geglaubt, dass sie es bis in die Stichwahl schaffen würde. Im Wahlkampf hat sie sich kategorisch gegen jede Verschiebung des Urnengangs gestellt, doch am Wahltag selbst verlangte sie zusammen mit elf anderen KandidatInnen die Annullierung der Wahl wegen Fälschungen und Betrugsmanövern. Tags drauf kam die nächste Kehrtwende: Seit die Hochrechnungen sie an der Spitze sehen, hat sie von dem Annulierungsansinnen Abstand genommen. Einige ihrer MitstreiterInnen vom Wahltag werfen ihr deswegen Taktiererei und Intrige vor. DOROTHEA HAHN

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