: Die Aufstellung
ANPFIFF Die WM-kritische Bewegung startet Proteste. Der Regierung droht kurz vor dem Finale bei der Präsidentschaftswahl eine Schlappe. Die Fifa hat sich ihre Profite gesichert
MARIO CAMPAGNANI, JUSTIÇA GLOBAL
AUS RIO DE JANEIRO ANDREAS BEHN
Jetzt geht’s los. Vier Wochen vor der Fußballweltmeisterschaft haben alle Beteiligten ihre Positionen eingenommen, die Aktionsfelder sind markiert. Das Spielfeld ist nicht der grüne Rasen, der am dem 12. Juni weltweit live über die Bildschirme flimmern wird, sondern die Straßen der zwölf Austragungsorte und anderswo. Auftakt war der internationale Aktionstag am Donnerstag gegen die Kollateralschäden WM.
Zu den Favoriten zählt die WM-kritische Bewegung, die seit den Massendemonstrationen im Juni vergangenen Jahres in aller Munde ist. Auch die politische Rechte mischt vorne mit – sie inszeniert die Organisationsmängel und das erwartete Chaos während der WM als Heimniederlage der Regierung von Dilma Rousseff, wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl. Mit von der Partie sind streikende Busfahrer, Lehrer, die Polizeigewerkschaft und andere, die wie die Stadtreiniger im März durch das Sportspektakel ein besonderes Druckmittel haben, alte Lohnforderungen endlich durchzusetzen (siehe rechts). Dubiose Splitterparteien stehen im Verdacht, als Trittbrettfahrer noch etwas mehr Chaos zu stiften.
Krasser Außenseiter ist die Regierung, deren Sportminister Aldo Rebelo gerade wieder einmal wiederholte, dass alles in bester Ordnung sei und ganz Brasilien von der WM profitieren werde. Tenor: Wenn der Ball erst einmal rollt, wird die eigentliche Party beginnen. Letzten Umfragen zufolge haben jedoch an die 60 Prozent der eigentlich fußballbegeisterten Brasilianer gar keine Lust mehr auf das Fest. Die meistens werden im kleinen Kreis vor dem TV sitzen, fernab von Staus, Baustellen und Randale.
Außer Konkurrenz der eigentliche Star, die Fifa. Die Profite, vor allem durch TV-Rechte und Werbung, sind bereits gesichert. Auf den Straßen werden sich die Funktionäre vorsichtshalber nicht blicken lassen. Doch nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Der Imageschaden für das Privatunternehmen könnte größer ausfallen als erwartet.
„Nein, wir sind nicht gegen die WM, sondern die Art und Weise, wie sie veranstaltet wird.“ Mario Campagnani von der Menschenrechtsorganisation Justiça Global zählt nur die sichtbarsten Missstände auf. Diese Kritik werde beim Aktionstag auf die Straßen getragen, der in Anlehnung an die Occupy-Bewegung in Spanien „M15“ genannt wird. „Die Städte werden modernisiert, aber nur im Interesse der Reichen und der Immobilienspekulation“, sagt Campagnani. So wurden in Rio de Janeiro über 30.000 Menschen aus ihren Wohnungen in den Armenvierteln vertrieben und außerhalb, oft über 30 Kilometer entfernt, in sterilen Sozialwohnungen ohne Verkehrsanbindung oder Jobmöglichkeiten untergebracht.
„Die milliardenteuren neuen Stadien haben nichts mit unserer Fußballkultur gemein. Wir lieben Stehplätze und wollen vor oder nach dem Spiel am Grillstand ein Bier trinken“, sagt Campagnani, aber all das werde es aufgrund der Fifa-Regeln nicht geben. Erlaubt seien nur die offiziellen Sponsoren, ambulante Händler sind verboten. Hinzu komme die Polizeigewalt, mit der das Ganze durchgesetzt werden solle, ergänzt Giselle Tanaka vom WM-kritischen Comitê Popular da Copa. „Wie im vergangenen Juni werden Demonstranten nur als Unruhestifter betrachtet werden.“ Wenigstens würden auf den Straßen nur Gummigeschosse eingesetzt, „in den besetzten Favelas dagegen wird scharf geschossen und immer wider gibt es Tote“, klagt Tanaka.
Die WM-kritischen Komitees, die aus zahlreichen sozialen Bewegungen, Aktivisten und Akademikern bestehen, gibt es in allen großen Städten. Fast täglich sind die kommenden Wochen lokale Demonstrationen geplant, auch andere Aktionsformen wie Besetzungen und Kunstinterventionen wird es geben. Viel Zulauf versprechen sich die Aktivisten bei den „Mani-Fests“, dem alternativen Public Viewing, wo die Spiele auf öffentlichen Plätzen ohne Einhaltung jeglicher Fifa-Vorschriften gezeigt werden sollen. „Verboten wird dort nichts“, so die Ankündigung, „nicht einmal Coca-Cola-Dosen, die allerdings von fliegenden Händlern verkauft werden.“
Die Befürchtung, dass die Mobilisierungen wie im vergangenen Jahr teilweise von der Rechten vereinnahmt werden könnte, teilen die Aktivisten nicht. „Die Regierung hat jede Chance vertan, die WM für einen sozialen Fortschritt zu nutzen. Jetzt müssen wir auf die Straße gehen, um unsere Rechte einzufordern“, beharrt GiselleTanaka.
Die Straßenhändlerin Maria de Lourdes, auch im Komitee aktiv, stimmt zu: Für soziale Bewegungen gebe es kein Wahlkalkül. Sie ist selbst Mitglied der regierenden Arbeiterpartei PT. „Wir müssen Druck machen, damit der Karren nicht noch weiter in den Dreck gefahren wird. Die Rechten spielen ihr eigenes Spiel, das ändert aber nichts an unserer Kritik.“